„… Genug, Avi, wir Polizisten sind nicht die Eltern der Bürger. Und die Polizei ist auch nicht allein verantwortlich für die Sicherheit der Bürger und ihr Wohlergehen, das weißt du selbst. Eltern müssen auf ihre Kinder aufpassen und Erwachsene auf sich selbst.“ (S. 121)
Der sechzehnjährige Schüler Ofer wird vermisst. Seine Mutter Hanna erklärt Inspektor Avraham Avraham, er sei am Mittwochmorgen zur Schule gegangen und auf dem Weg dorthin verschwunden. Obwohl Avrahams Bauchgefühl andere Signale gibt, will er an einen üblichen Fall glauben. Jugendliche hauen ab und zu ab. Für ein paar Stunden, eine Nacht oder einen Tag. Hanna kann Avraham aus eigenen Erfahrungen zustimmen. Denn ein paar Mal sei Ofer eigene Wege gegangen, aber immer zurückgekommen. Nur dieses Mal glaubt sie, etwas anderes sei passiert.
Für Avraham beginnt eine nervenaufreibende Zeit, in der es keine Zeugenaussagen darüber gibt, wann und wo Ofer am Mittwoch gesehen worden ist. Das fehlende Motiv erschwert die Ermittlungen. Und auch der neue ehrgeizige Kollege Schrägstein stört Avrahams Ermittlungen.
Erfolgsautor aus Israel
Der israelische Erfolgsautor Dror Mishani hat in seinen Kriminalromanen mit „Avi“ Avraham aus Tel Aviv eine Nische gefunden, die aus dem Meer der Kriminalromane heraussticht. Aus diesem Grund wurde eines seiner Bücher für eine US-Serie verfilmt. Im Zentrum seiner Bücher steht ein alleinlebender Ermittler, der über seinen Beruf sein Hobby gefunden hat. Avi liebt es, in Kriminalromanen und Filmen Ermittlungsfehler zu suchen. Einer Kollegin gesteht er, in einem Fall von Agatha Christie sogar einen anderen Täter ermittelt zu haben und dieses auch belegen zu können.
Jeder Fall von Avraham ähnelt einem umfangreichen Puzzle, das er mit gründlichem Nachdenken und Akribie für winzige Details zusammensetzt. Sein Kollege Schrägstein beginnt dagegen mit einer Theorie, der er stur nachrennt. Und wenn er jemanden verhaftet hat und derjenige unter drangsalierenden Verhörmethoden gesteht, dann ist für Schrägstein der Fall gelöst. Doch bei Avi gibt es mehr Fragen als nur eine Theorie. Und im Fall des vermissten Ofer passen die verschiedenen Informationen nicht zusammen. Auch das Bild über die betroffene Familie wirkt verschwommen.
Dror Mishani hat mit Avraham einen sympathischen Einzelgänger erschaffen, dessen Empathie und Klugheit für eine menschenfreundliche Ermittlung steht. Bei der Lektüre taucht man in das israelische Leben und lernt dabei Avi Avraham schätzen und lieben. Dass Opfer Gerechtigkeit erfahren, kommt dann als Bonus noch hinzu.
Dror Mishani: Vermisst.
Aus dem Hebräischen übersetzt von Markus Lemke.
Diogenes, November 2022.
384 Seiten, Taschenbuch, 11,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.