Doris Lessing: Das fünfte Kind

Doris Lessing wurde 1919 in Persien geboren und verstarb 2013 in London. Sie gehört mit ihrem umfangreichen, sozial engagierten Werk zu den wichtigsten englischsprachigen Autorinnen der Moderne. Insgesamt hat Doris Lessing über 60 Bücher verfasst und etliche Preise verliehen bekommen. Mit ihrem 1962 veröffentlichten Roman „Das goldene Notizbuch“ erlangte sie Weltruhm. 1981 wurde sie mit dem österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet, 1982 mit dem Shakespeare-Preis. 2007 wurde ihr der Literaturnobelpreis verliehen. In unserem Leselustportal ist ihr Erzählband „Der Ameisenhügel“ zu finden.

1988 erschien „Das fünfte Kind“ in der englischen Originalausgabe „The Fith Child“. Im selben Jahr wurde die deutsche Ausgabe erstmals vom Verlag Hoffmann und Campe aufgelegt.

Das fünfte Kind“ ist ein Familienroman, der in einem Londoner Vorort der sechziger Jahre angesiedelt ist. Das Glück der Familie Lovatt wird auf eine harte Probe gestellt und driftet in ein alptraumartiges Desaster ab, dem keines der Familienmitglieder gewachsen ist.

Ein großes Haus für alle

Das junge, recht konservative Paar Harriet und David Lovatt scheinen wie füreinander bestimmt und heiraten bald nach ihrer Kennenlernphase. Beide stürzen sich ziemlich unbedarft in die Ehe. Sie verwirklichen ihren Traum vom eigenen großen Haus mit Garten, ohne darüber nachzudenken, ob sie der finanziellen Belastung gewachsen sind.

Die beiden haben Glück, dass sie Unterstützung durch Davids Vater erhalten, denn alleine könnten sie für die Kosten des Unterhalts gar nicht aufkommen. Bald schon stellt sich der erste Nachwuchs ein. Das große Haus wird zur gern besuchten Location für alle Familientreffen und Feiern. Wochenlang verbringen nahe und entferntere Familienmitglieder ihre Urlaube und freie Zeiten bei den Lovatts. Schon nach kurzer Zeit hat sich der Familienzuwachs der Lovatts auf vier Kinder vergrößert. Ohne die aufopferungsvolle Hilfeleistung der beiden Großmütter wäre der Arbeitsaufwand für Harriet überhaupt nicht zu bewältigen.

Familienglück ist weder selbstverständlich noch planbar

Als sich das fünfte Kind ankündigt, gerät alles aus den Fugen. Bereits die Schwangerschaft belastet Harriet in ungewohnter Weise in besonderem Maße. Als dann der kleine Ben auf der Welt ist, wird es nicht besser. Er ist ein ungewöhnliches Kind im Aussehen wie auch im Verhalten. Alle empfinden ihn als Fremdkörper, nichts Liebenswertes geht von ihm aus. Ben fordert die volle Aufmerksamkeit seiner Eltern, ist geistig entwicklungsverzögert, ungelenk, wild und vor allem abgrundtief bösartig. Auch die Haushaltshilfen sind keine Entlastung für Harriet. Die vier größeren Kinder  werden zu Bens Gunsten immer mehr von ihren Eltern vernachlässigt. David ist wegen vieler Überstunden, zu denen er sich gezwungen sieht, kaum noch zu Hause. Wenigstens bleiben die zahlreichen weiteren Familiengäste, die sonst Jahr für Jahr das Haus belagern, aus, was Harriet allerdings bedauert. Mit dem neuen kleinen Familienmitglied ist die Freude und Ungezwungenheit bei den Familienfeiern entschwunden. Niemand weiß so richtig, mit Ben umzugehen. Er passt nicht in eine Familienstruktur. Dennoch setzt Harriet den Frieden der restlichen Familie aufs Spiel, um diesem Jungen irgendwie gerecht zu werden.

Aber bei aller Aufopferung bleibt Ben das schwarze Schaf der Familie und findet nur als gesellschaftlicher Außenseiter seine Rolle und vielleicht auch eine Form der Erfüllung.

Das fünfte Kind“ ist die Geschichte eines ungeliebten Kindes, das genetisch aus der Reihe fällt. Seine Andersartigkeit macht ihn zum Opfer, seine Familie wiederum wird zu seinem Opfer.

Hier wird deutlich, dass geplante Lebensmodelle selbst unter besten Voraussetzungen und Anstrengungen keine Regeln kennen und in keinster Weise berechenbar sind.

Eine starke, aufwühlende Erzählung, die fesselt und dabei aktueller denn je erscheint.

Doris Lessing: Das fünfte Kind.
Übersetzt aus dem Englischen: Eva Schönfeld.
Wagenbach, März 2025. 208 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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