Der irische Schriftsteller Donal Ryan (Jahrgang 1976) hat mit „Seltsame Blüten“ sein fünftes Buch geschrieben. Es ist am 21. Februar 2024 im Diogenes Verlag erschienen. Übersetzt wurde es von Anna-Nina Kroll. Mit seinem letzten Buch „Die Stille des Meeres“ aus dem Jahre 2021 stand Ryan auf der Longlist des Man Booker Prize.
„Seltsame Blüten“ im grünen Irland
In „Seltsame Blüten“ versetzt Donal Ryan die Lesenden ins Irland der 1970er Jahre. Die Familie Gladney, Paddy, Kit und ihre Tochter Mary, leben in einem Cottage einer kleinen Gemeinde im County Tipperary. Paddy arbeitet als Briefträger und kümmert sich als Knecht außerdem um die Ländereien und das Vieh der Familie Jackman, auf deren Land sie wohnen. Kit macht die Buchhaltung für ein paar Kaufleute aus der Gegend. Mary, genannt Moll, ist ein ruhiges und angepasstes Mädchen. Doch mit zwanzig Jahren verschwindet sie plötzlich. Für ihre Eltern bricht die Welt zusammen.
Traurig und brav fügen sie sich nach langer, unergiebiger Suche nach Moll in ihr Schicksal, beten Rosenkränze und sind unfassbar traurig. Fünf Jahre lang hören sie nichts von ihrer Tochter. Dann steht Moll eines Tages wieder vor der Tür des Cottages. Offenbar gesund und nicht schwanger. Paddy und Kit empfangen sie mit offenen Armen und sind überglücklich. Moll erklärt nichts. Bis ein Fremder in die Stadt kommt und nach Moll fragt. Paddy und Kit Gladney erhalten ein paar überraschende Antworten.
„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Korinther 13, Vers 13)
Donal Ryan erzählt die Geschichte der Familie Gladney mit großer Herzenswärme. Die einfachen Leute vom Land sind gläubig und bescheiden. Das Verschwinden der Tochter stürzt die Eltern in tiefe Verzweiflung und Trauer. Die Nachbarn denken, „dass Moll Gladney entweder tot oder schwanger war. Und was davon schlimmer gewesen wäre, das wusste man nicht.“
Nach ihrer Rückkehr verhält sich Moll seltsam und ängstlich. Erst nach und nach enthüllt Donal Ryan in seiner Geschichte die wahren Gründe für Molls Verschwinden und ihr Verhalten nach der Rückkehr ins Elternhaus. „Seltsame Blüten“ nimmt Fahrt auf. Es kommen weitere Personen hinzu: Alexander Elmwood, den Moll hochschwanger in London geheiratet hatte, Delilah und Barney Elmwood, seine Eltern, und die Schwestern Akeelia und Tasha. Allesamt Persons of Colour. Und dann Joshua, Alexanders und Molls Sohn, die „Seltsame Blüte“. Heißgeliebt vom Vater und den beiden Großelternpaaren. Aber seiner Selbst höchst unsicher. Alexanders bester Freund Syd Bartlett und seine Tochter Honey, die am Ende der Geschichte wichtige Rollen spielen.
Und da sind noch Ellen und Lucas Jackman, die Landbesitzer und Arbeitgeber der Gladneys, mit ihrem Sohn Andrew. Auch ihnen verleiht Ryan besondere, dramatische Bedeutungen. So ist der Roman gespickt mit Anspielungen, Geheimnissen, Selbstbetrug, Rassismus und Glaubenssätzen, aber auch mit Hoffnung und großer Liebe. Den Kapiteln gibt Ryan Überschriften nach Begriffen aus der Bibel (Genesis, Richter, Exodus, Hohelied, Weisheit, Offenbarung). Die Geschichte über den Blinden im Johannes-Evangelium wird für Joshua zum Prüfstein für seine Persönlichkeit und seine schriftstellerischen Ambitionen. Der Glaube der streng katholischen Landbevölkerung in Irland findet hier seine literarische Spiegelung.
Ähnlich wie schon in seinem Roman „Die Stille des Meeres“ entfaltet „Seltsame Blüten“ langsam seine Kraft, steigert sich kontinuierlich zu leiser, dramatischer Wucht und endet versöhnlich und tröstlich. Ein tolles Buch. Bitte lesen!
Donal Ryan: Seltsame Blüten.
Aus dem irischen Englisch von Anna-Nina Kroll.
Diogenes Verlag, Februar 2024.
272 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.