Donal Ryan: Die Königin von Dirt Island

Was für ein Glück!

Hatte ich als Lesende 2024 in „Seltsame Blüten“ des irischen Schriftstellers Donal Ryan das Vergnügen, die Familie Gladney aus einem kleinen Dorf in der irischen Gemeinde Tipperary kennenzulernen, so mache ich in seinem neuen Roman „Die Königin von Dirt Island“ näher Bekanntschaft mit der Nachbarsfamilie der Gladeys, der Familie Aylward. Und das ist ein großes (Lese-) Glück.

„Die Königin von Dirt Island“ ist am 23. Juli 2025 im Diogenes Verlag erschienen. Übersetzt wurde der Roman, wie auch schon alle anderen Romane Donal Ryans, von Anna-Nina Kroll. Zu „Die Lieben der Melodie Shee“ (2018), „Die Stille des Meeres“ (2021) und „Seltsame Blüten“ (2024) liegen Besprechungen auf unserer Homepage vor.

Der Aylward – Clan

Die „Königin von Dirt Island“ ist in Donal Ryans Roman Eileen Aylward, Witwe und alleinerziehende Mutter von Saoirse. Eileens Mann stirbt wenige Tage nach Saoirses Geburt. Seitdem leben Eileen und Saoirse, deren Name im Irischen „Freiheit“ bedeutet, zusammen mit der Schwiegermutter Mary, Nana genannt.

Die beiden Frauen sind stark und selbstbewusst. Saoirse („Sör-scha“ gesprochen) wächst in Liebe, Wärme und Geborgenheit auf. Das Leben der Frauen in dem kleinen irischen Dorf in den 1980er Jahren ist geprägt von patriarchalischen Strukturen, Klatsch und Tratsch. Als Eileen bei einem Buchmacher zu arbeiten beginnt, steht das Jugendamt bei den Aylwards vor der Tür. Da bekommt Saoirse mit vierzehn Jahren das erste Mal Angst:

„Sie weinte, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben, im Büro dieser Frau, deren Aufgabe es war, Kinder zu beschützen, Angst hatte. Saoirse Aylward hatte vierzehn Jahre und neun Monate gelebt, ehe sie zum ersten Mal Angst verspürte.“ (S. 77)

Ihre beiden Onkel, Chris und Paudie, bewirtschaften den kleinen Hof der Aylwards und kommen mehr schlecht als recht zurecht. Paudie landet sogar kurzfristig im Gefängnis, weil er für irgendjemanden Waffen auf dem Hof versteckt. Eileens Bruder Richard neidet ihr das Erbe von Dirt Island, einer kleinen Insel mitten im See,  die ihr ihr Vater vermacht hat.

Als die sechzehnjährige Saoirse mit ihrer Freundin Breedie Flynn ein Konzert besucht, schlucken sie eine Pille. Am Ende landen sie im Backstage Bereich der Band. Wenig später stellt Saoirse fest, dass sie schwanger ist. An den Abend mit dem Sänger der Band hat sie kaum eine Erinnerung. Natürlich sind ihre Mutter und Großmutter stinksauer (lesen Sie dazu bitte unbedingt das Kapitel „Unbefleckt“ auf den Seiten 116 und 117, in dem Donal Ryan Eileen ihrer Tochter in einem Atemzug ohne Punkt den Marsch blasen lässt), aber letztendlich wird auch dieses Kind willkommen geheissen. Sie nennen es Pearl. Dann kehrt Josh Gladney mit seiner Freundin Honey Bartlett (beides bekannte Figuren aus Ryans Vorgängerroman „Seltsame Blüten“) nach Hause zurück und Saoirse verliebt sich in ihn. Aber kann Josh ihre Liebe erwidern?

 

Vom Glück eine starke Mutter und Großmutter zu haben

Donal Ryan erzählt in „Die Königin von Dirt Island“ virtuos von den vier Frauen der Familie Aylward in einer männlich dominierten, katholischen Welt im ländlichen Irland. Es ist eine “Coming of Age“ – Erzählung in zahlreichen, kurzen Kapiteln, jedes nur knappe zwei Buchseiten lang. Nicht Eileen, „Die Königin von Dirt Island“ ist die Protagonistin, sondern die am Anfang des Romans gerade geborene, aber schon vaterlose Saoirse. Sie ist es, die Donal Ryan erzählerisch auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben einfühlsam und sanft begleitet. Und wie schon in „Seltsame Blüten“ ist ein irisches Dorf der Schauplatz der Geschichte. Darin tummeln sich die Bewohnerinnen und Bewohner, die Ryan mit großer Herzenswärme und Zuneigung beschreibt. Mit Eileen und Nana stellt Ryan Saoirse starke Frauen mit robustem Humor zur Seite, die ihr Leben trotz aller wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und familiären Widrigkeiten ohne Männer meistern. Sie sind für das Kind und die heranwachsende Saoirse Vorbild und Anker. Und Saoirse findet ihren Weg, genauso wie Pearl in der vierten Generation der Aylward Familie.

 

In seiner wundervollen Prosa hat Donal Ryan erneut einen Roman geschrieben, der fesselnd und berührend zugleich ist. Dessen Wirkung auf mich als Leserin von der ersten Seite an beeindruckend und überzeugend ist. Hatte ich zunächst befürchtet, die vielen kurzen Kapitel würden meinen Lesefluss bremsen, so habe ich mich getäuscht. Von Ryans Sprache getragen, glitt ich mühelos durch die Geschichte. Und Donal Ryan gelingt es meisterlich, den Kreis der Erzählung nach knapp vierhundert Seiten und vielen Kapiteln tröstlich und schlüssig zu schließen.

 

„Die Königin von Dirt Island“ ist ein wunderbares Buch, eine herzerwärmende Familiengeschichte und sehr gute Literatur, die glücklich macht. Bitte lesen!

Donal Ryan: Die Königin von Dirt Island
Diogenes, Juli 2025
Gebundene Ausgabe, 240 Seiten, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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