Nach „Schattengold“ legt Christian Handel und mit „Brunnengeister“ eine weitere Märchen-Neuerzählung vor; diesmal orientiert am Froschkönig.
Lina ist die jüngste Tochter des Königs und nicht zufrieden mit ihrer Rolle: Kleider tragen und brav in ihrem Schloss bleiben war noch nie ihre Sache; viel lieber erkundet sie den tiefen Wald, der an den Schlossgarten anschließt. Dort scheinen die alten Legenden um die Wunschgeister noch lebendig zu sein, auch wenn es diese natürlich schon seit Jahren nicht mehr gibt. Zum Glück, denn mit dem Erfüllen der Wünsche, brachten sie damals auch großes Unglück über die Menschheit …
Als Lina gegen ihren Willen verheiratet werden und in ein fernes Land gebracht werden soll, erinnert sie sich in ihrer Verzweiflung an eben diese Legenden und unternimmt einen letzten Versuch, sich aus ihrer Bestimmung zu retten: Sie geht zu dem geheimnisvollen Brunnen im Wald und bittet die Wunschgeister, nicht heiraten zu müssen. Als Opfer bringt sie ihnen diese unscheinbare Goldkugel, die sowieso keinen Zweck erfüllt und vollkommen unwichtig ist – oder?
Lina hält ihren Wunsch für kindisch, denn Wunschgeister gibt es ja nicht mehr. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse am Hof und ihr wird klar: Man sollte sich niemals leichtfertig etwas wünschen, denn es könnte in Erfüllung gehen!
Zunächst war ich etwas skeptisch dieser Neuerzählung gegenüber, da Lina sehr naiv erscheint und „Eine Prinzessin, die lieber Hosen als Kleider trägt“ als Charakter etwas abgenutzt wirkt. Doch mit dem Lesen versteht man, dass die Protagonistin von ihren inneren Stimmen, die ganz beiläufig ansetzen, zerrissen wird und weit mehr Tiefe mitbringt, als anfangs zu erwarten war.
Der Rest der Geschichte: Großartig! Wendungen, Spannung, Grusel und herzerwärmende Momente – und das, obwohl der Stoff ja eigentlich bekannt ist! Eine atmosphärische Märchenerzählung, die verzaubert und gruselt. Der Brunnen im Wald ist ein Ort, an den der Leser beinahe schon physisch mitgenommen wird, so authentisch und mystisch wird hiervon erzählt.
Auch wenn ich zu Beginn Schwierigkeiten hatte, in die Welt zu finden (von den Waldbeschreibungen einmal abgesehen), gibt es für das großartige Ende eine dicke Empfehlung. Zu viel erzählen möchte ich hier natürlich nicht, aber wer das Konzept von Gut und Böse gerne aufgeweicht hat und auch die Graustufen erkennen kann, wird begeistert von diesem neuen Finale sein! Ich habe es gerne gelesen und freue mich auf die dritte Märchen-Neuerzählung des Autors, die für den Herbst angekündigt ist!
Christian Handel: Brunnengeister
Piper, November 2024
400 Seiten, gebundene Ausgabe, 20.00 €
Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.