Cheon Myeong-kwan: Eine Bumerangfamilie

Der Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller Cheon Myeong-kwan (Jahrgang 1964) aus Südkorea stand mit seinem ersten Roman „Der Wal“ aus dem Jahr 2004 auf der Shortlist des International Booker Prize 2023. Sein zweiter Roman „Eine Bumerangfamilie“ ist im Oktober 2024 bei Weissbooks in einer Übersetzung von Matthias Augustin und Kyunghee Park erschienen.

Die Rückkehr der „Bumerang-Kinder“

In „Eine Bumerangfamilie“ kehrt Cheon Myeong-kwans Ich-Erzähler und Protagonist, der Regisseur Inmo, in die Wohnung seiner Mutter zurück. Als beinahe Fünfzigjähriger steht er vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz. Inmo hat kein Geld mehr, aber einen Haufen Schulden und ein Alkoholproblem. In die Wohnung der über siebzigjährigen Mutter ist bereits Inmos älterer Bruder Hanmo eingezogen. Hanmo, genannt Hammer, ist ein fetter Möchtegern-Gangster. Es dauert nicht lange und es gesellen sich Miyǒn, die jüngere Schwester der beiden, mit ihrer halbwüchsigen Tochter Min’gyǒng dazu.

Nun sind alle Geschwister – einem Bumerang gleich – ins mütterliche Nest zurückgekommen, worüber die Mutter kein Wort verliert, sondern alle bekocht und durchfüttert. Sie selbst arbeitet trotz ihres Alters als Vertreterin für Kosmetikprodukte und läuft mit ihrem Musterkoffer von Tür zu Tür. Zwischen Inmo und Hammer fliegen die Fetzen. Sie prügeln sich seit ihrer Kindheit. Miyǒn hat ihren zweiten Ehemann betrogen, lernt aber bald darauf schon wieder einen neuen Liebhaber kennen. In der Enge der Wohnung werden plötzlich alte Geheimnisse aufgedeckt und die Festigkeit der Familienbande auf eine harte Probe gestellt. Nach vielen Turbulenzen und Spannungen gibt es am Ende für die Mutter und die Geschwister, für die Familie, doch noch ein Quäntchen Lebensglück.

„Hemingway und ich“

Cheon Myeong-kwans „Eine Bumerangfamilie“ erschien im Original schon 2010. Vierzehn Jahre später liegt nun die deutsche Übersetzung vor. Und das ist ein Glück. Was Cheon Myeong-kwan zu erzählen hat, ist trotz der prekären Ausgangslage der Familie in seiner Geschichte eine Wucht. Der Ton ist lakonisch bis flapsig, die Charaktere sind schrullig bis bedauernswert und die Handlung ist spaßig bis spannend. Da finden sich die drei erwachsenen, mittelalten Kinder wieder im Schoß der Familie, und die alte Mutter nimmt sich ihrer ohne zu zögern an. Keine Fragen, keine Vorwürfe, stattdessen warme Mahlzeiten und ein Dach über den Köpfen für ihre gescheiterten Kinder. Und was ist gerade die Hauptfigur, der erfolglose „Herr Regisseur“, für ein sich selbst bemitleidendes Muttersöhnchen? Er ist sich nicht zu schade, nicht nur seine Mutter schamlos auszunutzen, sondern er erpresst auch noch seine Nichte Min’gyǒng und nimmt ihr Geld ab. Cheon Myeong-kwan stattet ihn großartig mit einem Hang zu westlichen männlichen Regie- und Schriftstellergrößen aus. Vor allem Ernest Hemingway hat es ihm angetan:

„Ich lag auf dem Sofa und schlief, da rüttelte jemand an meiner Schulter. Hoffnungslos verkatert von der letzten Nacht, war mir alles lästig, jede Bewegung tat mir weh … Einen Moment lang traute ich meinen Augen nicht. Der Mensch, der mich geweckt hatte, war niemand anderer als Hemingway. Der struppige Bart, die dicken Augenbrauen, die tiefen Stirnfalten … kein Zweifel, Hemingway. Er sah aus wie auf dem Foto, das Yousuf Karsh, wenige Jahre vor seinem Tod von ihm gemacht hatte.“ (S. 135)

Ein köstliches Lesevergnügen mit genau der richtigen Mischung von bitteren und süßen Momenten

Eigentlich sind diese erwachsenen Kinder eine einzige Katastrophe, aber dann stehen sie doch füreinander ein. Und retten einander sogar vor noch schlimmeren Dingen. Mit einer Größe, die man den Figuren gar nicht zu getraut hat. So nimmt diese Familiengeschichte ein versöhnliches Ende.

Cheon Myeong-kwans „Eine Bumerangfamilie“ ist ein köstliches Lesevergnügen mit genau der richtigen Mischung von bitteren und süßen Momenten.

Cheon Myeong-kwan: Eine Bumerangfamilie.
Aus dem Koreanischen von Matthias Augustin und Kyunghee Park.
Weissbooks, Oktober 2024.
226 Seiten, Hardcover, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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