Castle Freeman: Treue Seele

Castle Freeman hat ein neues Buch geschrieben. Nachdem fast auf den Tag genau im letzten Jahr „Ein Mann mit vielen Talenten“ erschienen ist, veröffentlichte der Carl Hanser Verlag nun am 24. Juli 2023 den neuen Roman mit dem Titel „Treue Seele“. Dirk van Gunsteren liefert wieder die deutsche Übersetzung dazu.

Porter Conway kommt auf seiner Tour zur Volkszählung 1990  in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Vermont zur Sägemühle von Arthur Bennett. Dort öffnet ihm die 15-jährige Lucy, Arthurs Tochter, die Tür. Porter, genannt Port, ist überrascht über die „kleine Hinterwaldschönheit“. Allerdings lehnt ihr Vater die Befragung mit schroffen Worten ab, wirft Port von seinem Grundstück, und Lucy schmeißt das Formular weg.

So verläuft die erste Begegnung zwischen Port und Lucy. Lucy ist die sehr viel jüngere Halbschwester von Constance (Connie) Copeland. Connie und ihr Mann Cliff nehmen Lucy bei sich auf, weil der alte Arthur nicht länger für sie sorgen kann. Cliff ist mit Port befreundet. Connie kann ihn nicht leiden. Lucy ist so schön, dass sie den Jungs in der kleinen Stadt den Kopf verdreht. Zunächst ist sie mit Dougie Burnside befreundet, der jedoch zum Studium seine Heimatstadt verlässt. Dougie soll Arzt, Anwalt oder Banker werden. Nach einem Autounfall, den angeblich Lucy betrunken verursacht hat und bei dem Port Lucy aus dem Autowrack befreit, trennen sich Lucy und Dougie. Lucy bricht das College ab, kellnert im „Waterfall“ und lernt Kurt Pope kennen. Sie ziehen zusammen in einen Trailer. Kurt hat eine kriminelle Vergangenheit. Er steht unter Beobachtung von Sheriff Lucian Wing. Connie und Cliff sind alles andere als begeistert von dieser Beziehung. Port vermietet ihnen schließlich ein Haus auf seinem Grundstück und behält Lucy im Auge. Irgendwann baut Kurt Mist und das Haus brennt ab. Wieder ist Port zur Stelle und rettet Lucy aus dem brennenden Haus. Und da ist inzwischen noch etwas anderes zwischen den beiden.

Schon im Prolog von „Treue Seele“  erfahre ich als Lesende den Ausgang von Castle Freemans Geschichte. Aber das tut dem Rest des Romans keinen Abbruch. Denn zwischen Prolog und Epilog erzählt Freeman über das Leben von Port, Cliff, Connie und Lucy zwischen 1990 und 2010 (oder drei Volkszählungen) in einer Vermonter Kleinstadt. Gespickt mit herrlichen Dialogen in einer klaren Sprache lässt Castle Freeman Land und Leute lebendig werden, wie z.B. in einem Gespräch zwischen Cliff und Port:

„»Deine Mutter hat nicht alle Tassen im Schrank«, sagte ich.

»Ihre Tassen sind nicht mal mehr in derselben Zeitzone wie der Schrank.«

»Sie denkt, sie ist deine Schwester. Ich muss sagen, das ist heftig.«

»Das findest du heftig?«, sagte Port. »Als ich auf der Highschool war, dachte sie, sie wäre meine Frau. Sie dachte, ich wäre mein Vater. Das war heftig.«“

(S. 151)

Freeman stattet seine Figuren mit Humor, Herz und einer Portion Schlitzohrigkeit aus, so dass die Geschichte aus einem kleinen Kaff in der amerikanischen Provinz alles andere als langweilig und öde daher kommt. Beim Lesen entstehen Bilder im Kopf: der Ort, die Personen scheinen wie vertraute, alte Bekannte. Freeman arbeitet Kapitel für Kapitel mit wechselnden Erzählperspektiven, so ist der Ich-Erzähler bzw. Ich-Erzählerin z.B. mal Cliff, mal Connie. So bindet er die Konzentration und das Interesse der Lesenden stetig Seite für Seite.

Es ist eine Geschichte mit Happy End, so viel steht schon zu Anfang fest. Aber Castle Freeman lässt es sich nicht nehmen, den langen, hindernisreichen Weg zu dieser ganz besonderen Hochzeit zwischen zwei besonderen Menschen voller Witz und Ironie zu beschreiben. Dank Freemans Erzählweise wird dabei auch das Schwere leichter, die Probleme kleiner und die Sorgen geringer. „Treue Seele“ von Castle Freeman macht gute Laune ohne schlicht zu sein, es ist wunderbare Unterhaltung ohne platt zu sein und es ist damit unbedingt und ohne jeden Zweifel lesenswert.

Castle Freeman: Treue Seele.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
Carl Hanser Verlag, Juli 2023.
224 Seiten, Gebunden, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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