Der US-amerikanische Schriftsteller Castle Freeman (Jahrgang 1944) lebt und arbeitet in Vermont. Dort spielt auch sein neuester Roman „Ein Mann mit vielen Talenten“, der am 25.Juli 2022 im Carl Hanser Verlag in einer Übersetzung von Dirk van Gunsteren erschienen ist.
Langdon Taft, Lehrer im Ruhestand, bekommt Besuch vom Abgesandten des Teufels, dem beredten, schicken Dangerfield. Taft langweilt sich, trinkt zu viel und ist dem Vorschlag Dangerfields nicht abgeneigt, für sechs Monate alle seine Wünsche erfüllt zu bekommen. Natürlich nicht umsonst, denn er verkauft Dangerfield im Gegenzug seine Seele.
Was Langdon Taft aber mit seinen neuen Fähigkeiten macht, ist ungewöhnlich und auch für Dangerfield neu. Taft wird zum Wohltäter in seiner Gemeinde und hilft einigen Leuten aus der Patsche. Sein Freund Eli Adams liefert ihm dafür die Hilfsbedürftigen, und Langdons neuer Ruf gelangt bis zu der alten Calpurnia Lincoln im Hospiz. So bezahlt Langdon Taft die Krankenhausrechnungen für ein Kind, er lässt den Schläger Wesley Fillmore verschwinden oder rettet Lucas Polk vor dem Mobbing seiner Mitschüler und gibt ihm später Arbeit und Selbstbewusstsein. Dann verjagt er den Anwalt Jack Raptor, der Orson Hayes aus seinem Haus klagen möchte. Sogar ein junges Mädchen rettet er vor dem Tod und belebt es wieder. Dafür wünscht er sich für sich selbst nur ein Date mit der Polizistin Trooper Madison, sonst nichts. Dangerfield ist verwundert. Aber noch viel verwunderter als er von dem Deal zwischen seinem Vorgesetztem, dem Fürsten, und Calpurnia Lincoln hört. Sollte Langdon Taft seinen Teil der Abmachung etwa nicht erfüllen?
Herrlich, wie Castle Freeman die Faust-Geschichte erzählt. Er überträgt den Faust aufs Land und überrascht die Lesenden mit seiner Auslegung der Geschichte.
Dabei sind es besonders die Dialoge zwischen Taft und Dangerfield, aber auch die Gespräche zwischen Eli Adams und Calpurnia Lincoln, die die Geschichte so lesenswert machen:
„»Wer sind Sie?«, fragte Taft.
Ihr Kumpel. Ihr Partner. Ich bin Ihr Führer.
»Und wohin führen Sie mich?«
Wohin Sie wollen. Überallhin.
»Ich brauche keinen Führer«, sagte Taft.
Anscheinend doch, Chief. Hab ich recht oder nicht? Sie haben’s gerade selbst gesagt: Sie haben sich verlaufen. Darum brauchen Sie einen Führer. Und da bin ich.
»Aha«, sagte Taft. »Na gut, okay. Was verkaufen Sie?«
Ich verkaufe gar nichts, Chief. Ich kaufe. Sie verkaufen.
»Ha – nicht, dass ich wüsste. Wie sind Sie hergekommen?«
Das war nicht so einfach, sagte Dangerfield. Stellen Sie sich vor: Ich wäre beinahe von einer Jungpolizistin hopsgenommen worden, von einer Pfadfinderin in State-Police-Uniform…“ (S. 12)
Castle Freeman ist in seinem Element, er schreibt über die Menschen und das Leben in Vermont. Und er tut dies liebe-, humorvoll, spannend und sehr amerikanisch. Als Lesende schließe ich die Figuren ins Herz, selbst wenn sie, wie Langdon Taft, eigenbrötlerisch und alkoholabhängig sind. Der freundliche und hilfsbereite Eli glaubt an das Gute im Menschen und die alte und beinahe allwissende Calpurnia Lincoln besticht durch Klugheit und ein Ass im Ärmel. Mit Witz und Weisheit brillieren hier die Alten und machen es dem Gesandten des Teufels schwer. So wird Castle Freemans „Ein Mann mit vielen Talenten“ zu einem zwar kurzen Lesevergnügen, bei dem aber jedes Wort sitzt. Bitte lesen!
Castle Freeman: Ein Mann mit vielen Talenten.
Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren.
Carl Hanser Verlag, Juli 2022.
160 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.
Pingback: Castle Freeman: Treue Seele - Schreiblust Leselust