Emily lebt bei ihren Großeltern, weil ihre Eltern nach der Insolvenz ihres Betriebs in Dubai arbeiten müssen. Ihre Großmutter arbeitet in einer Bibliothek, ihr Großvater verliert nach und nach sein Gedächtnis, aber wenigstens hat sie zwei gute Freunde. Eines Tages entdeckt sie einen geheimen Raum hinter der Bibliothek und darin die goldene Schreibmaschine und je ein Exemplar jedes Romans, der jemals auf der Welt geschrieben wurde. Mit dem Spezialpapier und der magischen Schreibmaschine kann Emilie jedes Buch der magischen Bibliothek umschreiben, indem sie eine Seite mit ihren Veränderungen abschreibt und dann neu einklebt. Damit ändert sich nicht nur jede Ausgabe dieses Buches, sondern auch Verfilmungen, Hörbücher, Berichterstattungen und vor allem die Erinnerungen der Menschen. Die Veränderung wirkt bis in die Realität, denn was sie lesen, beeinflusst die Entscheidungen der Menschen.
Während Emily die Schreibmaschine mehr oder weniger zufällig gefunden hat, sucht ihr Lehrer Dresskau schon länger danach. Und im Gegensatz zu Emily geht es ihm um Macht und er ist bereit, dafür sehr brutal sehr weit zu gehen.
„Die goldene Schreibmaschine“ ist Carsten Henns erstes Kinderbuch und er hat eine wundervolle Geschichte über die Macht von Geschichten geschrieben und darüber, dass es manchmal einfach gut ist, wie es ist, auch wenn es nicht so aussieht. Denn Veränderungen ziehen neue Veränderungen nach sich. So ist Emily zwar schon bald sehr beliebt und hat angesagte Freunde, aber sie vermisst ihre alten Nerd-Freunde, die sich plötzlich nicht mehr kennen wollen. Nach und nach versteht sie das.
Wie auch die Erwachsenenbücher von Carsten Henn lässt sich „Die goldene Schreibmaschine“ sehr flüssig lesen und erzeugt einfach eine gute Stimmung. Einzig die Protagonisten Emily hat mich gestört. Sie ist sauber ausgearbeitet und ihre Motive sind meist nachvollziehbar, sie ist die Gute in diesem Roman. Und genau das fand ich problematisch. Auch wenn ihre Motive nachvollziehbar sind, handelt sich doch egoistisch und macht sogar noch weiter, als ihr die Auswirkungen bewusst werden. Zwar behauptet sie, dass ihre Freunde ihr fehlen, das hindert sie aber nicht daran, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wohlgemerkt, sie schreibt nichts um, um ihre Freunde wiederzubekommen, sie macht einfach weiter. Auch dass sie eine Buchreihe, die sie liebt, mal eben um zwei Folgebände gebracht hat, reflektiert sie kaum. Dass sie ihrem Opa helfen wollte, behauptet sie zwar am Ende, im Buch kommt der Versuch aber nicht vor. Bei so viel bleibendem Eigennutz fiel es mir schwer, in dem wirklich unsympathisch dargestellten Dresskau noch den einzig Bösen zu finden. Wer sagt denn, dass Emilies Änderungen richtig und seine falsch sind? Ja, es sieht so aus, aber wer kann schon wissen, wo das hinführt. Bis Emily auf diese Frage ihre eigene Antwort findet, dürfen wir sie durch ein schönes, spannendes und auch hintergründiges Buch verfolgen.
Carsten Henn: Die goldene Schreibmaschine
Oetinger, Oktober 2024
256 Seiten, gebundenes Buch, 16 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.