Ein kleiner Mond – Panga –, der um einen großen Planeten kreist, beherbergt etwas Besonderes. Nein, ich rede jetzt nicht von den Menschen – diese gibt es, wie gemeinhin bekannt, wie Sand am Meer; ich spreche von den Robotern. Da staunen sie, was?
Nun, vor einigen Jahrhunderten war die Welt Panga dabei draufzugehen – wir kennen das von den Menschen ja, Umweltverschmutzung, das Recht des Stärkeren, Brutaleren, die Gier nach Macht und Reichtum – dann passierte etwas, das neu war!
Die Roboter in den Fabriken entwickelten ein Bewusstsein.
Das ist ungewöhnlich, was dann in der Folge aber passierte – das ist eine Sensation, die unser aller Glaube an das Gute im Menschen wieder aus der Asche auferstehen lässt.
Die Menschen zwangen ihre Maschinen-Diener nicht etwa wieder zurück in ihre Dienste, an die Förderbänder, in die Gruben und Fabriken. Sie handelten mit den Robotern ein Abkommen aus. Die Roboter durften frei über ihr Schicksal entscheiden, zogen sich in die Wildnis zurück, die Menschen begannen, ihr Dasein ohne Roboterunterstützung umzukrempeln. Seitdem leben sie im Einklang mit der Natur, haben sich in kleine Ortschaften zurückgezogen und lassen jeden nach ihrer oder seiner Fasson glücklich werden.
Dex sieht sich selbst weder als Männlein noch als Weiblein. In einer kleinen Gemeinschaft aufgewachsen, schließt ser sich einem religiösen Orden an, bevor ser seine Bestimmung als Teemönch findet. Ser radelt mit seinem Anhänger von Dorf zu Dorf, schenkt Tee aus und hört zu. Die Menschen bringen ihre Sorgen, Nöte und Befürchtungen mit, bekommen Verständnis und Aufmunterung. Inzwischen hat ser sich einen erstklassigen Ruf erschaffen, doch wirklich zufrieden ist Dax mit seinem Dasein nicht. Als ser sich zu einer aufgegebenen Klause aufmacht, begegnet er im Nirgendwo etwas, das ser nicht kennt – ein Roboter sucht den Kontakt, will auch für seine Artgenossen herausfinden, wie sich die Menschheit seit der Trennung entwickelt hat. Was als neugieriges Forschungsprojekt beginnt, führt zu etwas, das sich niemand wirklich vorstellen hätte können – Freundschaft zwischen Mensch und Maschine …
Was ist dies für ein Buch – der erste Band eines Zweiteilers, den uns der Carcosa Verlag hier als klein-oktaves Hardcover offeriert?
Ein Plot, der eigentlich nichts wirklich Weltbewegendes berichtet. Ein Mensch ist mit seinem Leben unzufrieden, bricht in die Einsamkeit auf und findet unterwegs einen Begleiter. Das hört sich zunächst einmal nicht wirklich faszinierend an, oder?
Das Buch aber ist ein Werk, das einmal nicht von der zerstörerischen Kraft der Menschen berichtet, sondern, ganz bewusst, den Dystopien eine positiv besetzte Vision entgegenhält.
Die Menschheit auf Panga hat es geschafft, hat gerade noch die Kurve gekriegt und lebt nicht nur im Einklang mit der Natur, sondern hatte auch die Größe, ihre Schöpfung freizusetzen.
Das ist anders, das ist neu, das ist verblüffend.
Mehr noch, Becky Chambers erzählt uns eine leise Geschichte ohne große Action, ohne Kämpfe oder weltbewegende Gefahren. Sie zieht die Faszination stattdessen aus der Figur ihres einsamen, mit sierem Leben nicht zufriedenen Dax. Was aber fehlt Dax – eine Frage, die Dax selbst nicht zu beantworten weiß. Erst durch den Kontakt mit Helmling, dem Roboter kommt hier etwas in Bewegung. Die Selbstfindung, die Suche nach dem Platz in der Welt, nach Erfüllung und Zufriedenheit beginnt, die Einsamkeit, das Verlorensein hat, dank der so ungewöhnlichen Freundschaft, ein Ende.
Der Plot stellt uns wichtige Fragen; – nein, ich meine nun nicht das Gendern, die Person Dex, oder die Lösung der Umweltproblematik, ich beziehe mich auf die Einsamkeit, die Unzufriedenheit, weil man ihren oder seinen Platz im Leben nicht gefunden hat, ja gar nicht weiß, was eigentlich fehlt im belanglosen Dasein. Hier zeigt uns der kurze Roman die Entwicklung von Dex, die Suche nach dem Grund der inneren Leere, die zaghaft sprießende Zuneigung und Vertrauen zu Helmling. Das ist interessant und bereichernd, das gibt Denkanstöße und Hinweise darauf, wie man bei sich selbst an derartige Fragen herangehen könnte, ja oftmals erst einmal sich selbst gegenüber zugeben muss, dass im Leben etwas fehlt, das aller Konsum, alle Karriere nicht ersetzen kann. Zufriedenheit, Freundschaft, ein in sich Ruhen – das sind hehre Worte und Begriffe, doch oftmals das, was in unserem hektischen Leben viel zu kurz kommt. Insoweit bietet dieser herrlich unaufgeregte Roman vielleicht gar den Anstoß, ins Ich selbst hineinzuschauen, sich zu hinterfragen und vielleicht gar zu beginnen, etwas an ihrem oder seinem Alltag zu ändern.
Becky Chambers: Ein Psalm für die wild Schweifenden – Dex & Helmling 1
aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Karin Will
Carcosa Verlag, Februar 2024
188 Seiten, gebundene Ausgabe, 18,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.