An einem schönen Septembertag radelt Bernadette an der Elbe entlang, um sich mit ihrer besten Freundin und Kollegin Lotta in ihrem Stammcafé zu treffen. Ihr Blick auf das strömende, strudelnde Wasser im Sonnenlicht ist an diesem Tag ein anderer. Es ist ein wacher Blick, der ihr sagt, alles verändert sich im Leben. Warum nicht auch bei? Die Arbeit in der Redaktion der Zeitschrift Paradies gefällt ihr schon lange nicht mehr. Seit ihr Mann sie und ihre Tochter verlassen hat, leidet Bernadette unter einer Schaffenskrise: Sie kann nicht mehr schreiben, nur die Bilder für das Magazin kann sie bearbeiten. Und weil sie von allen Kolleginnen am besten die Bildstrecken zusammenstellt, darf sie nach wie vor in der Redaktion arbeiten. Inzwischen ist sie das Mädchen für alles geworden.
Auf dem Weg zu Lotta öffnet sich nicht nur Bernadettes Blick. Sie sieht die bisher verdrängte Wahrheit: Sie mag nicht mehr den obligatorischen Sekt im Café, nicht mehr Single sein, und sie will raus aus der selbstgeschaffenen Enge.
Kurz darauf erhält sie die Gelegenheit, an Stelle von Lotta nach Madrid zu fliegen. Ihre Reportage über die Königliche Teppichmanufaktur wird von einem renommierten Fotografen begleitet. Eins kommt zum anderen. Bernadette erkundet ihre neue Umgebung, findet Freunde, und dann verändert sie ihr Leben.
Die Autorin Barbara Handke lebt und arbeitet in Leipzig, wo sie ihre Leidenschaft für Sprache und Literatur auslebt. In Wien schrieb sie ihre Doktorarbeit zu dem Thema „Die Kunst der Selbstoffenbarung bei Deborah Levy und Annie Ernaux“. Beide Autorinnen nutzten die Erinnerung für die Charakterisierung der sich erinnernden Person und ihren Verarbeitungsprozess.
Barbara Handke lässt auch ihre Romanheldin erinnern. Bernadette hinterfragt den Grund für ihr festgefahrenes Leben und ihre Ängste. Durch die ehrliche Analyse verändert sie ihre Eigenwahrnehmung. In Madrid erinnert sich Bernadette daran, wie gern sie früher gemalt hat. Aus dem Erinnern wird ein Handeln. Sie wird wieder eine Künstlerin. War ihr Schwerpunkt nicht schon immer das Bild und warum hat sie jemals geglaubt, journalistisch schreiben zu wollen?
„… Sie schaute auf. Begriff, dass das Wort aussichtslos nicht mehr auf sie und ihre Lage zutraf … Sie fühlte eine Erleichterung, die ihr erst jetzt, rückblickend, wirklich bewusst machte, wie sehr sie unter ihrem Abstieg und der Perspektivlosigkeit der letzten Jahre gelitten hatte. … Jetzt würde (sie) nie wieder so tief fallen, das schwor sie sich.“ (S. 169)
Auf der zweiten Erzählebene kommt der Fotograf Tom zu Wort, der genauso wie Bernadette eine gescheiterte Ehe mit Kind vorzuweisen hat und mit familiären Schwierigkeiten kämpft. Mit leichter Hand erzählt die Autorin, wie die beiden Zweifler aufeinandertreffen und sich unterschiedlich wahrnehmen.
Der wunderbare Titel Bernadette ändert ihr Leben erklärt alles und macht zugleich neugierig auf ein schwer zu erreichendes Ziel. Der kurzweilige Roman verspricht und hält ein Lesevergnügen, über das der Verlag im Klappentext schreibt: „Mit feinem Witz und großer Wärme erzählt dieser Roman von den kleinen und großen Wendepunkten des Lebens.“
Barbara Handke: Bernadette ändert ihr Leben Rowohlt Wunderlich, August 2025 288 Seiten, Gebundene Ausgabe, 23,00 EuroDiese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.