Annegret Liepold: Unter Grund

Franka ist das Schweigen in Fleisch und Blut übergegangen. Das merkt man schon am Anfang des Buches, als Franka als Referendarin mit Schülern die Prozesse gegen Beate Zschäpe in München besucht. Da ist sie weit über zwanzig. Sie fühlt sich von Anfang an unwohl, den Grund dafür erfährt der Leser erst nach und nach. Als einer der Schüler „Nazischlampe“ ruft, brechen alte Erinnerungen hervor. Erinnerungen an das Jahr 2006, als Deutschland im Fußballfieber war, auch in dem Dorf, in dem Franka aufgewachsen ist. Um wieder zu sich zu finden, reist sie dorthin zurück und bricht alte Wunden auf.

Franka war so furchtbar wütend damals. Ihr Leben war nach dem frühen Tod des Vaters ohnehin nicht einfach, gefangen zwischen all den Frauen: ihrer Großmutter – der alles mit ihrer Meinung überragenden „Fuchsin“ – , deren Schwester, ihrer Mutter, ihrer Tante. Nichts schien wirklich Sinn zu machen und lernt sie Patrick und Janna kennen, die sie ernst nehmen, die sie nach ihrer Meinung fragen. Und die etwas tun wollen gegen eine Umwelt, die sie kaputt macht. Das gefällt Franka und so gerät sie immer tiefer in die rechtsradikale Gruppe hinein. Bis sie bei einer Aktion erwischt werden, bis ihre Mutter sie auf ein entferntes Internat schickt und sich Schweigen über die ganze Angelegenheit legt. Schweigen, wie es auch die Fuchsin schon erfolgreich praktiziert hat, nach dem Ende des Dritten Reiches.

Ich fand an dem Buch zwei Dinge richtig gut: Wie Franka immer tiefer in die rechtsradikale Szene hineinrutscht, obwohl sie von der Sache an sich gar nicht überzeugt ist. Ihr Anliegen liegt eher im Umweltschutzbereich, in der Erhaltung der alten Teiche. Patrick und Janna bringen sie sehr geschickt dazu, zu glauben, dass es um Frankas Anliegen gehe. Geht es aber in Wahrheit nie. Das zweite war die Beschreibung, wie tief das Schweigen in Frankas Familie verwurzelt ist. Wie in so vielen Familien wird einfach „darüber nicht gesprochen“. Franka findet die Wahrheit nur in Dingen. Alten Schulheften, alten Fotos, selbst, als die Fuchsin noch lebt – und geschwiegen wird.  Und hinterher erst recht.

„Unter Grund“ ist nicht der einzige Roman, der sich mit dem Hineingeraten in rechtsradikale Dorfjugenden beschäftigt, ich fand ihn aber vor allem deswegen gut, weil er auch auf die Familiengeschichte eingeht – und zwar abseits von arbeitslosen Vätern, die auch nur wütend sind. Wie weit war Franka bereits vom Denken ihrer Familie beeinflusst, dass die das Denken von Janna und Patrick vielleicht nicht anzog, aber doch auch nicht störte? Wie fand die Aufarbeitung innerhalb der Familie, innerhalb des Dorfes statt? Hat die Fuchsin am Ende anders über das Dritte Reich gedacht als währenddessen? Oder ist sie nur mit der neuen Zeit gegangen? Würde die Enkelgeneration anders denken, wenn in den Familien mehr – auch über Fehler und Versäumnisse – geredet würde? Das Buch wirft Fragen auf, aber das ist ja nicht schlecht für ein Buch.

Sehr verzweigtes Buch um ein wichtiges Thema.

Annegret Liepold: Unter Grund
Karl Blessing Verlag, 02 / 25,
243 Seiten, gebundenes Buch, 24 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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