Angela Merkel / Beate Baumann: Freiheit: Erinnerungen 1954 – 2021 (Hörbuch)

Angela Merkel gibt in der von ihr selbst gemeinsam mit ihrer langjährigen Beraterin verfassten Biographie Einblick in ein geteiltes Leben. Die Hälfte hat sie in der DDR verbracht, unpolitisch, als Schülerin und Physikerin, die andere Hälfte in der BRD, als Politikerin. Sie beschreibt, wie sie aufwuchs, wie das so war, das Leben unter dem Regime. Sie hat sich damit arrangiert, was blieb ihr auch anderes, aber sie hat durchaus erkannt, wo die Ecken und Kanten waren. Allein die Beschreibungen, wie sie als Wissenschaftlerin damit kämpfte, sich mit Forschern aus nichtkommunistischen Ländern vernünftig auszutauschen, wäre schon ein ganzes Buch wert.

Auch ihre Schilderung, wie sie nach der Wiedervereinigung in die Politik kam und womit sie da zu ringen hatte, fand ich interessant, auch wenn die Beschreibungen der verschiedenen Sitzungen für meinen Geschmack deutlich kürzer hätten ausfallen dürfen. Dafür hätten ihre Charakterisierungen der Menschen, denen sie auf ihrem Weg begegnete oder auch begegnen musste, gerne länger sein können. Ich denke, nämlich, dass Angela Merkel uns einiges zu sagen hat. Nicht, weil sie einmal Bundeskanzlerin war, nicht, weil sie einmal mächtig war. Das hat nur dazu geführt, dass sie viele interessante Menschen kennenlernen durfte, ist aber kein Wert an sich. Ich fand schon immer, dass es sich lohnt, ihr da zuzuhören, wo sie sich außerhalb des Tagesgeschäfts äußert. Weil sie ein sehr reflektierter Mensch ist. Weil sie zuhören und Schlüsse ziehen kann.

Das heißt jetzt nicht, dass in diesem Hörbuch jeder Fehler oder angebliche Fehler, den sie während ihrer 16-jährigen Regierungszeit begangen hat, auseinandergenommen oder gar entschuldigt wird. Dieses Buch ist keine Rechtfertigung und soll auch keine sein. Aber natürlich beschreibt sie bei vielen historischen Ereignissen, wie Entscheidungen zu Stande kamen und wie die Umstände waren. Wer beteiligt war, den man von außen so gar nicht sieht und wovon sie auch manchmal getrieben war.

Selbstverständlich beschreibt sie auch die Corona-Pandemie. Ja, ich hätte mir da von ihr manchmal gewünscht, dass sie ihre Vormachtstellung als Kanzlerin mehr nutzt und nicht jede Woche neu diskutiert. Dass sie mal eine Richtung angibt – selbst wenn sie falsch gewesen wäre (was viele vergessen: Keiner konnte damals wissen, was „richtig“ wäre), anstatt sich jede Woche auf ermüdenden Ministerpräsidentenkonferenzen zu verschleißen. Aber das wäre nicht ihr Verständnis von Demokratie. Aber ihr größtes Problem während der Pandemie war ohnehin ein anderes. Ihr fehlten die Gespräche in Präsens. Das Austauschen beim „Kaffe holen“, die kleinen Gespräche am Rande, die es bei Online-Konferenzen einfach nicht gibt. Sie geht sogar so weit zu sagen, ohne diesen fehlenden Austausch wäre die Welt heute eine andere. Auf der anderen Seite war sie eine derjenigen, die damals verstanden hatten, wie Wissenschaft funktioniert. Dass es jeden Tag neue Erkenntnisse gibt, die man in Entscheidungen einbauen muss. Dass sich Erkenntnisse durch Forschung ändern, ohne dass man gleich meinen muss, die Wissenschaftler würde nichts taugen.

Insgesamt fand ich es interessant, ihr zuzuhören. Corinna Harfouch liest das Hörbuch mit einer für Merkel so typischen Betonung. Es ist nicht die Stimme von Angela Merkel, aber fast. Und das gehört zur Ex-Bundeskanzlerin dazu. Diese sachliche, unaufgeregte Sprache mit einem kleinen Schuss Humor drin. Ich würde, ohne das Buch gelesen zu haben, also tatsächlich zum Hörbuch raten.

Angela Merkel / Beate Baumann: Freiheit: Erinnerungen 1954 – 2021
Gesprochen von Corinna Harfouch
Argon Verlag 11 / 24
23 h 52 min, Hörbuch MP3 CD 49 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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