Willkommen in Elvestad, einem Ort, in dem das Schweigen und Verbrechen scheinbar zu Hause ist. Für Harinder Singh, der hier seine Kindheit und Jugend erlitten hat, ist Elvestad ein Ort, aus dem eine Flucht unmöglich geworden ist. Erneut sieht er sich gezwungen, mit Menschen zu reden, die ihm in der Vergangenheit übel mitgespielt haben. Manche von ihnen haben nicht nur ihre Finger in allen möglichen Geschäften, sie profitieren auch vom plötzlichen Tod unbequemer „Nachbarn“. Der große Gewinner ist in der Regel der alte Georg Davidsen, der Harinder anblafft:
„… Glauben Sie ja nicht, ich wüsste nicht, was Sie da treiben. … Bilden Sie sich etwa ein, Sie können diese geisteskranke Person dafür benutzen, mich und meine Familie anzugreifen? … Mein Sohn sitzt Ihretwegen im Gefängnis.“
„Nein, er sitzt im Gefängnis, weil er Frauen vergewaltigt und die Übergriffe gefilmt hat.“ (S. 130)
„Diese geisteskranke Person“, die große Verliererin in diesem Spiel um Macht und Geld, ist seit achtzehn Jahren Helene, die für die Ermordung ihrer Mutter und ihres Stiefvaters in allen Instanzen schuldig gesprochen worden ist. Auch nach ihrer Freilassung beteuert sie bei jeder Gelegenheit, unschuldig zu sein. Nun ist sie zur Klärung nach Elvestad zurückgekehrt. Natürlich sind die Gemüter der Bewohner aufgebracht, und wieder sterben Menschen „unnatürlich“.
Der in Oslo geborene Autor Sven Petter Naess ist in Norwegen für seine Kriminalromane bekannt geworden. Sein Kommissar ist der kluge Harinder Singh. Aufgrund seiner indischen Wurzeln fällt der dunkelhäutige Vater einer fast erwachsenen Tochter auf. Sein analytischer Verstand deckt Ungereimten auf und bringt ihn häufig in Gefahr. Häufig stellt er unbequeme Fragen ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer.
In einer Szene legt sich Harinder erneut mit Georg Davidsen an. „Was ihre Geschäfte angeht, sind Sie rücksichtslos. … ich glaube nicht, dass Sie etwas damit zu tun hatten. Aber es ist schwer, Sicherheit zu gewinnen, wenn niemand reden will und alle damit beschäftigt sind, ihre Interessen zu schützen.“ Davidsen nickte bedächtig. … „Sind Sie sicher, dass Sie nichts trinken wollen?“ (S. 255)
Sven Petter Naess schenkt seiner Leserschaft einen wendungsreichen Kriminalroman, in dem Harinder unerschrocken und hartnäckig zugleich auf Verbrecherjagd geht. Seine erfolgreichen Ermittlungen sind äußerst spannend zu lesen und schenken unterschwellig Trost, wenn aktuelle Nachrichten über Verbrechen in den Medien viel zu schnell zur Randnotiz werden.
Sven Petter Naess: Schuld: Team Oslo ermittelt, 3. Band
Aus dem Norwegischen übersetzt von Andreas Brunstermann
Aufbau Taschenbuch, Januar 2025
363 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.