Andreas Eschbach: Todesengel

todSchon lange ist der nächtliche Heimweg mit der U-Bahn nicht mehr sicher. Lange sind auch die Zeiten vorbei, in denen man bestohlen wurde und fertig. Gewalt um der Gewalt willen ist ein Problem moderner Zeiten, das uns alle ratlos zurücklässt. Im Gedächtnis ist noch der Fall Brunner, der Mann der Jugendlichen half und dabei zu Tode geprügelt wurde. Hier setzt Andreas Eschbach an.

Erich Sassbeck ist alles andere als ein strahlender Held, war auch nie einer, wollte auch nie einer sein. Aber als er in der U-Bahn-Station beobachtet, wie zwei Jugendliche eine Bank demolieren, greift er dennoch ein. Sagt ihnen seine Meinung und bezahlt das beinah mit seinem Leben. Aber kurz vor dem Ende, während die beiden auf ihn einprügeln als wäre er ein bloßer Sandsack, erscheint ein Engel. Strahlend weiß, von innen leuchtend, taucht er plötzlich in der Station auf und erschießt die beiden Prügelnden. Es gibt keine Zeugen und niemand glaubt dem Rentner die Geschichte mit dem Engel. Plötzlich sieht er sich selbst mit der Anklage konfrontiert, seine Angreifer erschossen zu haben. Er sei doch früher beim DDR-Grenzschutz gewesen, ob er denn nicht vielleicht seine Waffe behalten hätte. Erich Sassbeck ist fassungslos. Und nicht nur er.

Ingo Praise ist Journalist. Mit einiger Mühe hält er sich als Freier gerade so über Wasser und muss es immer wieder hinnehmen, dass seine Artikel geändert und zusammengestrichen werden. Laut seinem Redakteur hat er die falsche Attitüde, schreibt nicht, was die Masse lesen will und was die Zeitung verkaufen wird. Denn Ingo Praise möchte die Geschichten der Opfer schreiben. In einer Welt, in der der Lebensgeschichte der Täter mehr Platz eingeräumt wird als dem Schicksal der Opfer, möchte er die Geschichten der anderen Seite aufschreiben. Im Fall Sassbeck soll er endlich die Gelegenheit dazu bekommen. Ihm wird ein Video zugespielt, dass den „Engel“ zeigt. Eine Sensation. Praise bekommt eine eigene Sendung und damit schlägt er einen Weg ein, den er später nur zu gerne zurückgehen würde. Später, als es zu spät ist.

Andreas Eschbach hat sich der Diskussion Selbstjustiz contra stattliches Gewaltmonopol angenommen und er hat dabei keinen Aspekt außer Acht gelassen. Dabei gelingt es ihm in Perfektion, den Leser zuerst in eine Denkrichtung zu locken und ihn dann mit einem einzigen Satz daraus herauszukatapultieren – ihr werdet den Satz finden, ehrlich. So regt er zum selber Denken an. Dabei bietet er keine einfachen Lösungen an, eigentlich gar keine Lösungen, denn es gibt wohl keine. Aber er denkt und erzählt Geschichten konsequent zu Ende und zeigt damit auch auf, wohin Stammtischparolen auch dann führen, wenn sie überlegt und mit den besten Vorsätzen zur Realität werden. In der Figur des Ingo Praise und seiner Fernsehsendung hat er einen Hintergrund geschaffen, der es ihm ermöglicht Diskussionen einzuführen, ohne dabei auch nur einen Satz lang langweilig zu werden. Durch die Studiogäste deckt er ein breites Spektrum an Meinungen und Geschichten zu beiden Seiten ab. Am Ende ist es keine Frage mehr, wie sie der Klappentext stellt „Was, wenn der Staat seine Bürger nicht mehr schützen kann? Muss es dann nicht jemand anderes tun?“ Am Ende des Romans hat Andreas Eschbach dazu klar Stellung bezogen, hat noch einmal aufgezeigt, warum wir vor Jahrhunderten fanden, dass Selbstjustiz keine gute Idee ist und warum wir das eigentlich noch immer finden. Trotzdem ist auch die hilflose Wut derjenigen zur Sprache gekommen, die einfach nicht anders können, als zurückzuschlagen. Und der Leser hat immer noch die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Diesmal begründet.

Fazit: Spannender Roman zu hochaktuellem Thema, Diskussionen, die nicht im Sande verlaufen. Nur wer aufgrund des Autors eine superneue, völlig unbekannte Technik als Lösung für gesellschaftliche Probleme erwartet, weil er denkt „ist ja schließlich ein SciFi-Autor“, der wird feststellen, dass er bei diesem Autor zu einfach gedacht hat.

Andreas Eschbach: Todesengel.
Bastei Lübbe, September 2013.
544 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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