kraftvoll – inspirierend
Das Matterhorn, einer der höchsten Berge der Alpen und meistfotografierte Touristenattraktion der Schweiz, fasziniert uns mit seiner besonderen Form. So sehr, dass man sogar im Disneyland Resort in Kalifornien eine maßstabsgetreue Nachbildung bewundern kann. Seit seiner Erstbesteigung vor mehr als 150 Jahren starben aber auch mindestens 500 Alpinisten bei dem Versuch, den Gipfel zu erklimmen.
Andrea Günther erzählt in ‚Die Gipfelstürmerin‘ von der Engländerin Lucy Walker, die am 22. Juli 1871 als erste Frau das Matterhorn bestieg.
Der Alpinismus dieser Zeit war vor allem eine Herausforderung für die Männer einer privilegierten Klasse und doch ein Zeitvertreib, der die Perspektive ändert. In einer Zeit, in der es für Frauen nicht einmal denkbar war, ohne männliche Begleitung zu verreisen, bringt das Bergsteigen Lucy an die Grenzen ihrer engen Welt. Nur auf den Bergen kann sie eine Freiheit spüren, die Frauen in den Städten und Dörfern der Zivilisation in jenen Jahren nicht zustand.
Trotz Rheuma, Höhenkrankheit und Eiseskälte in völlig ungeeigneter Kleidung lässt Lucy sich nicht von der Freude am Bergwandern abhalten. Angetrieben vom Entdeckergeist des 19. Jahrhunderts und der Zuneigung zu ihrem Bergführer strebt sie bald in ungeahnte Höhen, bis sie sich in einem riskanten Wettstreit mit ihrer Konkurrentin Meta Brevoort wiederfindet.
‚Die Gipfelstürmerin‘ ist die Geschichte einer Frau, die sich nicht zufriedengeben will, mit der ihr zugedachten Rolle als gelangweilte Gesellschafterin, Ehefrau und Mutter, die gegen alle Widerstände das Unmögliche wagt. Eine Geschichte über Mut, Selbstermächtigung und weibliche Kraft.
„Sie war der Fels, das Eis und der Schnee, ja sie war sogar der blaue Himmel darüber.“ S. 243
Dieser Roman hat mich vom ersten Moment an mitgerissen in eine Zeit voller Abenteuerlust und Herausforderungen bis an den Anfang der modernen Frauenbewegung. Man merkt jedem Kapitel an, wie viel Mühe, Zeit und Herzblut darin steckt. Die Figuren wirken nahbar und authentisch, selbst Lucys Konkurrentin Meta schließt man schnell ins Herz. Die Autorin versteht es, die raue Natur ebenso wie Lucys Drang nach Freiheit in eindrucksvollen Bildern wiederzugeben. Sie fängt die Zwänge der damaligen Zeit gut ein und überzeugt mit gepflegtem wie fesselndem Schreibstil. Durch die hochwertig gestaltete Klappenbroschur liegt das Buch zudem angenehm weich in der Hand. Perfekt für kuschelige Lesestunden im Herbst.
Andrea Günter: Die Gipfelstürmerin.
Gmeiner, September 2025.
400 Seiten, Taschenbuch, 20 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Antje Lehnert.
