Verwirrender Roman mit einer faszinierenden Protagonistin
So sehr ich mich für die Hauptfigur im Roman, die wunderbare Eliza Touchet, begeistern kann, so ratlos lässt mich das Buch ansonsten zurück. Auf mehreren Zeitebenen, in kurzen und sehr kurzen Episoden, in vielen Rückblicken erzählt die Autorin von Ereignissen im 19. Jahrhundert rund um die Schriftsteller Ainsworth, Dickens und deren Kreis.
Eliza Touchet ist die Cousine – oder was auch immer – von William Ainsworth. Sie lebt seit Jahren in seinem Haushalt, erträgt seine Launen und nun auch seine neue, sehr viel jüngere und ungebildete Frau. Eliza ist eine beeindruckende Figur, mit einer ganz besonderen, geradezu mikroskopischen Beobachtungsgabe gesegnet. Diese gestattet es ihr auch nicht, sich selbst falsch zu sehen, falsch einzuschätzen, sich und ihre Rolle.
Eliza, die sowohl ihren Vetter William Ainsworth wie auch dessen inzwischen verstorbene Frau Frances liebt, ist selbst verwitwet und hat kein Interesse daran, diesen Zustand zu ändern. In den zahlreichen, blitzlichtartigen Rückblenden erfahren wir, welches Leben sie geführt hat und was es bedeutet, neben einen missachteten Schriftsteller leben zu müssen. Ainsworth, der in steter Fehde mit Dickens lebt, ist ein enttäuschter alter Mann geworden.
Als roter Faden zieht sich der Prozess um einen vermeintlichen Betrüger durch den Roman. Sowohl Eliza wie auch Ainsworths neue Frau sind von diesen Vorgängen gefesselt und führen ebenso wie die gesamte Öffentlichkeit heiße Diskussionen über Recht oder Unrecht der Ansprüche dieses angeblich wieder aufgetauchten Erben einer reichen Lady.
Die Figur der Eliza steht für Emanzipation, sowohl der Frauen wie auch der Sklaven, sie steht für freie Sprache, offenes Denken. Die Beobachtungsgabe Elizas zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie ihre Beobachtungen mit fein geschliffenen, ironischen, ja fast sarkastischen Bemerkungen kommentiert. Auch sich selbst schätzt sie völlig richtig ein, was sie so besonders sympathisch macht.
Ansonsten hat mich der Roman recht ratlos zurückgelassen, habe ich mich doch immer wieder in den unzusammenhängenden Episoden verloren, deren zeitliche Zuordnung nicht immer möglich war, oft ganz fehlte. Außer man hat die entsprechenden Vorkenntnisse über die Zeit und ihre Literatur.
Stilistisch hingegen ist der Roman ein Diamant, die Sätze sind pointiert, fein ziseliert, gefeilt, poliert und faszinierend.
Zadie Smith – Betrug
aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer & Witsch, November 2023
Gebundene Ausgabe, 524 Seiten, 26,00 €
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.