Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten, gelesen von Christoph M. Herbst

Deutschland, Europa, hat seine Grenzen geschlossen. Weit weg, in Nordafrika befinden sich Läger mit Asylsuchenden, die zum Teil schon seit Jahren dort auf eine Entscheidung warten.  So lange, dass sich die Menschen in den Lagern eingerichtet haben. In Deutschland dagegen nimmt das Leben den Gang, den wir kennen. Das neueste Sternchen am Moderatorenhimmel heißt Nadeche Hackenbusch und sucht gerade einen Weg, sich dem Publikum als mitleidende, ernstzunehmende Moderatorin zu präsentieren. Unter anderem deswegen plant sie eine Sendung direkt aus einem der Flüchtlingslager. Der Sender ist begeistert.

Lionel befindet sich schon eine ganze Weile in diesem größten Flüchtlingslager, das Nadeche aussucht. Er erkennt in der deutschen Moderatorin eine Chance, die er so nicht erwartet hätte. Gemeinsam brechen sie auf. Zu Fuß. Nach Europa, genauer: nach Deutschland. Und mit ihnen ein Zug von 150.000 weiteren Flüchtlingen, live dabei immer Nadeches Sender.

So ein Zug läuft nicht ohne Probleme, aber sie kommen Europa näher und näher. Timur Vermes hat das Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass Europas, auf den der Zug Tag für Tag zurückt in Kleinigkeiten eingefangen. Zum Beispiel in der Exkrementeentsorgung. Oder in dem Spezialwagen für Schwangere. Denn der Zug der Moderatorin mit den Flüchtlingen wird zum Quotenhit und von Nadeches Sender gnadenlos ausgebeutet mit Live-Berichten und Zuschauerrekorden. Zynisch achtet man darauf, dass dem geneigten Zuschauer nicht zuviel zugemutet wird. Währenddessen wird der deutschen Politik langsam klar, dass Aussitzen nicht mehr lange eine Option sein wird. Denn die Flüchtlinge kommen näher und näher. Trotzdem wird versucht, die ganze Situation auszusitzen, worauf hofft man? Darauf, dass keiner durchkommt? Erst an der Grenze zur Türkei wird hektisch versucht, Politik zu betreiben, aber da ist es längst zu spät.

Das Hörbuch ist gemein, zynisch, zugespitzt, aber es denkt zu Ende, was die europäische Politik bzw. Nichtpolitik bedeutet. Es ist deutlich weniger lustig als „Er ist wieder da“, weil näher an der Realität. Ging es in der Hitler-Wiedergeburt „nur“ um Beeinflussung, geht es hier um reale Menschenleben. Da bleibt das Lachen eher im Hals stecken. Romanenden kann Timur Vermes meiner Ansicht nach immer noch nicht richtig gut, aber trotzdem ist das ein wichtiges Hörbuch, das man keineswegs verpassen sollte. Eben, weil es weiterdenkt und zum überdenken anregt.

Vorgetragen wird „Die Hungrigen und die Satten“ (toller, weil passender Titel übrigens) von einem Christoph Maria Herbst in Bestform. Satire kann er so richtig, richtig gut und auch das macht das Zuhören trotz der einen oder anderen Länge im Text zum Dauervergnügen.

Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten, gelesen von Christoph Maria Herbst.
Lübbe Audio, August 2018.
8 CDs, Gekürzte Fassung, 10 Stunden.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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