Annette Mierswa: Liebe sich, wer kann

Als Lotti Jakob anruft und ihn dazu überredet, sie auf einer Wanderung zu begleiten, ist er überglücklich. Lotti, die Schulsprecherin, die schöne Lotti, die Bonzentochter, eine mit der jeder Junge befreundet sein will, Lotti, seine heimliche Liebe, hat ihn erwählt. Die Wanderung durch die Wälder zu einem geheimnisvollen Ziel soll vier Tage dauern. Für Jakob könnte die Wanderung ewig dauern. Genaugenommen will er bei ihr bleiben und nie mehr zurück.

„Sie hatte ja keine Ahnung, wer mir alles im Nacken saß. Eine ganze familiäre Bullenherde, dazu der Keiler und seine Jungs und, nicht zu vergessen, mein verdammter Selbsthass.“ (S. 182)

Den Überlebensleitspruch ‚Rette sich, wer kann‘ hat die Autorin Annette Mierswa umformuliert. Ihr Leitthema sind Angststörungen und Depressionen. Am Beispiel von Jakob und Lotti zeigt sie, wie wichtig Selbstsicherheit und Eigenliebe sind. Wer sich selbst wertschätzt und gut behandelt, kann besser mit gedankenlosen Rüpeln klarkommen.

Im Zentrum ihrer Geschichte steht Jakob, der in der Familie unter einem prolligen Vater und älteren Zwillingsbrüdern leidet. Sie und verschiedene Mitschüler haben Jacob beigebracht, er sei nichts wert, ein Opfer, eine Peinlichkeit, und jeder hätte aus diesem Grund das Recht jederzeit auf Jakob einzutreten. Eine Schulpsychologin hat Jakob viele Tipps gegeben, seine Abwehrmechanismen zu stärken und sich selbst lieben zu lernen. Weiterlesen

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Garry Disher: Barrier Highway

18 Monate nach seiner Versetzung ins australische Hinterland kurvt Constable Paul Hirschhausen noch immer über einsame Landstraßen, Schotter- und Feldwege.

„Es war nicht von Belang, dass es hier draußen nur karges Land gab; die Landschaft war lebendig. Hirsch aber war von der Stadt geprägt, von den exakten Linien der geteerten Straßen und der gemauerten Häuser in ordentlichen Reihen, doch hier draußen waren die Winkel nicht vorhersehbar.“ (S. 332)

Genauso wenig ist vorhersehbar, wenn aus einer plötzlichen Veränderung des Alltags das festgefügte Leben verschiedener Bewohner aus den Fugen gerät. Hirsch(-hausen) versucht, wie ein Marionettenspieler die einzelnen Fäden in der Hand zu halten, bis er merkt, dass in mehrere Richtungen dynamische Prozesse entstanden sind: wie zum Beispiel das von ihm befreite Mädchen aus einem vergammelten Wohnwagen, eine betrogene alte Dame oder ein jähzorniger Vater mit einem geladenen Gewehr in der Hand. Hirsch kann nicht überall gleichzeitig sein. Die Leinen sind ihm entglitten, und das Chaos beginnt. Er kann deshalb nur hinterherlaufen, das Beste hoffen und das Schlimmste befürchten.

Garry Disher schreibt erfolgreich über Verbrechen, die in Australien angesiedelt sind. Lokalkolorit und extremes Klima haben seine Bewohner geprägt. Nichts erscheint leicht, und sehr leicht hat es einen erwischt. Der Autor beschreibt so plastisch die Verwicklungen zwischenmenschlicher Beziehungen, dass man glaubt, ständig auf einem Pulverfass mit brennender Lunte zu sitzen. Weiterlesen

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Susanne Thomas: In Zeiten des Tulpenwahns

„Die meisten der Gesichter waren ihm von seinen früheren Besuchen wohl bekannt. Verbrachten sie den ganzen Tag im Collegium? … Es war eine seltsame Profession, die nichts schuf und keinen Dienst verrichtete, die sich damit begnügte, durch den Kauf und Verkauf Geld scheinbar aus dem Nichts zu schöpfen.“ (S. 326 e-Book)

Der alte Gärtner und Witwer Nicolaes glaubt, er könne mit seiner wertvollen Tulpensammlung reich werden. Bisher waren ihm die Tulpen im Garten lieber als gefüllte Taschen. Doch für seine schöne Tochter Margriet will er es ändern. Sie liebt den jungen Adeligen Frans. Normalerweise wäre eine eheliche Verbindung der beiden unmöglich. Doch weil Frans Vater verschuldet ist, zeigt dieser sich kompromissbereit. Der Besitzer einer wertvollen Tulpensammlung soll ihm eine extrem hohe Mitgift zahlen. Ohne dass Frans und Margriet es ahnen, steht ihre Sehnsucht nach Glück und Liebe anderen im Weg.

Susanne Thomas hat in ihrem historischen Roman die brutale Seite des Handels aufgearbeitet und am Beispiel zweier Liebender und ihrer Familien in Szene gesetzt. Bei möglichen Gewinnmargen wird gern die Schattenseite von Angebot und Nachfrage und erst recht vergangene Auswüchse beim Handel mit Blumenzwiebeln ausgeblendet. Dem Tulpenwahn in den Niederlanden von 1636/1637 folgten noch viele andere, zuletzt 1912. Weiterlesen

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Andrea Barrett: Die Reise der Narwhal

Vor einigen Jahren bereiste der berühmte Kapitän John Franklin mit seiner Mannschaft den unerforschten Norden, ohne dass ihm 1847 eine Rückkehr gelang. Auch noch 1855 versucht seine Witwe über öffentliche Aufrufe, jemanden zu finden, der den vergeblichen Suchaktionen ein Ende setzt. Inzwischen ist das öffentliche Interesse so groß, dass der Überbringer von eindeutigen Informationen über Franklins Verbleib Geld und Ruhm gewinnen wird.

Auf einer Feier, bei der Erasmus Wells glaubt, dass Zeke offiziell die Verlobung mit seiner Schwester verkünden will, berichtet dieser stattdessen über seine baldige Expedition in die Arktis. Er sei derjenige, der Franklin finden wird. Und während Erasmus die schockierende Nachricht noch verdaut, bietet ihm Zeke einen Platz als seine rechte Hand auf der Narwhal an. Er brauche dringend Erasmus‘ Fachwissen, das er als Naturforscher in der Arktis gewonnen habe. Eigentlich will Erasmus ablehnen. Zu viele schlechte Erfahrungen nagen an ihm. Nur die Bitte seiner Schwester, auf den jüngeren, unerfahrenen Zeke aufzupassen und ihn zurückzubringen, zwingt ihn zu einem Umlenken. Erasmus redet sich die Wendung schön. Doch die zweite Chance, als Forscher Anerkennung zu gewinnen, entwickelt sich ganz anders. Seine Reise führt ihn ins Ungewisse. Weiterlesen

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Johanna Mo: Nachttod

Joel ist einer von den vielen Jugendlichen, die schon von klein gehänselt und gemobbt werden. In der Nacht zum 15. Mai stirbt er und wird Stunden später von Touristen an einem Ausflugsziel gefunden.

Der 15. Mai ist auch Hanna Dunckers erster Arbeitstag bei der Kalmarer Polizei. Weil sie sich bereits in Stockholm den Ruf einer guten Ermittlerin erarbeitet hat, werden sie und der Kollege Erik mit der Aufklärung betraut. Ihr erster Tag hätte für Hanna nicht schlimmer beginnen können: Abgesehen davon, dass sie sich nach 16 Jahren Abwesenheit in ihrer Heimat dem Grund ihrer Flucht stellen muss, steht sie viel zu schnell vor ihrer einst besten Freundin, um dieser von dem gewaltsamen Tod ihres Sohnes Joel zu berichten.

Hanna stößt bei den Ermittlungen auf Schweigen und Halbwahrheiten, aber auch auf Ablehnung und neugierige Blicke. Denn jeder, der sie von früher kennt, sieht in ihr die Tochter des Mörders Lars Duncker. Weiterlesen

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Anne Stern: Meine Freundin Lotte

Die Autorin und promovierte Germanistin Anne Stern hat sich bisher schon in einigen Romanen dem Berliner Leben in der Zeit von 1920 bis 1930 gewidmet. Es war eine Epoche, die mit den Goldenen Zwanziger umschrieben wird. Sie begannen mit Hunger und tiefer Not und endeten mit der Wirtschaftskrise, in der die Nationalsozialisten einflussreich wurden. Insbesondere das Leben der Frauen zeigte weitreichende Veränderungen: Korsett und lange Röcke wichen einer legeren Kleidung und Kurzhaarfrisuren, die endlich Bewegungsfreiheit erlaubten. Der erfolgreiche Kampf um das Frauenwahlrecht (1918) führte zu mehr Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. Studentinnen und Künstlerinnen drangen in eine starre Männerdomäne. Vor diesem gesellschaftlichen, politischen Hintergrund konzentriert sich die Autorin auf die damals lebende Künstlerin Lotte Laserstein. Ihr Aufbruch in die Unabhängigkeit und erste Erfolge geben ein Beispiel für den Begriff der verlorenen Generation. Und wie alle Juden befindet sich auch Lotte in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg in großer Gefahr, die sie lange ignorierte. Weiterlesen

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Marianne Philips: Die Beichte einer Nacht

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Rolle der Frau aus armen Verhältnissen klar umrissen: kein eigenes Geld, keine oder wenig Bildung, früh Kinder gebären und heiraten. Bei Heleen ist die Ausgangslage nicht gerade glücklich. Als Erstgeborene muss sie sich schon sehr früh um die kleinen Geschwister kümmern. Fast jedes Jahr bekommt ihre arbeitende Mutter ein weiteres Baby. Als Heleen zwölf Jahre alt wird, endet ihre Schulzeit. Sie wird in einer Schneiderei Laufmädchen und lernt nähen. Von dort beginnt ihre ungewöhnliche Karriere.

Die Autorin Marianne Philips wurde 1886 in Amsterdam geboren. Aus ihrem Werdegang als Politikerin, Schriftstellerin, Mutter und 1919 als erstes weibliche Ratsmitglied der Niederlande kann man erkennen, dass Emanzipation im Kopf der Frau stattfindet. Aus der Perspektive der Autorin kann das Märchen vom Prinzen, der ein schönes Mädchen lieben lernt und aus ihrer Armut und Not rettet, nur in einer neuen, ehrlichen Version erzählt werden. Dies gelingt der Autorin sehr überzeugend. Weder ist der erste Prinz ein guter Mensch, noch musste er seine zukünftige Königin retten, denn in ihrem Beruf war sie bereits eine. Die Autorin lässt Heleen von ihrer Einsamkeit erzählen und dass sie niemanden hatte, mit dem sie ihre Erlebnisse teilen konnte. Erfolg macht einsam und für Frauen erst recht. Karrierefrauen passen einfach nicht in die Schemata männlicher Erwartungen. Weiterlesen

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Sasha Filipenko: Der ehemalige Sohn

„… In der Stadt der mittelmäßigen Architekten regnete es. … Es änderten sich die politischen, ökologischen und futtertechnischen Bedingungen. Die Vögel flogen fort. Ohne Visum und Stempel im Pass. Alle aufs Mal, nach vorheriger Absprache.“ (S. 115)

Als Jugendliche hatten Franzisk und seine Freunde noch über diverse Missstände ihre Witze gerissen. Sie fühlten sich jung, unverwundbar und genossen ihre Streiche. Kurz darauf geriet Franzisk in eine Massenpanik. 10 Jahre lang lag er im Koma. Wäre seine Großmutter nicht gewesen, hätten die Ärzte ihn für gehirntot erklärt und seine Organe verschachert.

Kurz nach dem Tod seiner Großmutter erwacht Franzisk aus seinem Koma. Alles scheint auf den ersten Blick wie früher zu sein. Nur die Bestrafungen für unerwünschtes Verhalten sind ihm neu. Für jeden seiner alten Witze würde er heute verhaftet werden. Das Belarus von heute nimmt Franzisk den Atem.

Sasha Filipenko, 1984 in Minsk geboren, studierte Literatur und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber und Fernsehmoderator. Seinen zweiten politischen Roman hat Ruth Altenhofer aus dem Russischen übersetzt. Der ehemalige Sohn beschreibt sehr anschaulich, wie die strikte Ordnung in Belarus alles Leben erstickt, Menschen in den Selbstmord treibt und anders Denkende zerstört. Weiterlesen

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Annalena McAfee: Blütenschatten

Im Zentrum der Künstlerin Eve steht ein mehrteiliges Werk über Giftpflanzen. Gut dosiert retten sie Leben. Eve komponiert die Schönheit der Blüten und zeigt ihre tödliche Verführung.

In ihrem Tagesablauf hat Eve jedoch die ausgewogene Dosierung aus den Augen verloren. Luka, ein neuer Mitarbeiter, sorgt unter ihren Assistenten für Aufruhr. Er weckt bei seinen Kollegen Neid und Misstrauen und bei Eve starke Gefühle, von denen sie dachte, sie wären Vergangenheit.

Während Eve von ihrem alten Leben Abschied nimmt und durch das nächtliche London streift, zieht sie eine Bilanz über ihren Weg als Künstlerin. Und je näher sie ihrem Atelier kommt, um so deutlicher wird die Befürchtung, einem Irrtum aufgesessen zu sein. Für Eve geht es jetzt um alles, ihre Familie und Karriere.

Blütenschatten ist Annalena McAfees dritter Roman, den pociao und Roberto de Hollanda aus dem Englischen übersetzt haben. Die Londoner Autorin war bei der Financial Times Feuilletonredakteurin und gründete beim Guardian die Kunst- und Literaturbeilage. Vor diesem Hintergrund weiß sie genau, wie Ausstellungen und Werbung in der Kunstszene funktionieren. Weiterlesen

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Simon Beckett: Die Verlorenen

Simon Beckett gibt dem ersten Band seiner neuen Thrillerserie den Titel Die Verlorenen. Gemeint sind die Menschen, denen nicht mehr geholfen werden kann. Sie leben außerhalb der Reichweite einer Gemeinschaft und erfahren weder Schutz, noch erleben sie ein faires Rechtssystem. Ihr Alltagsleben wird ein gezinktes Pokerspiel, bei dem sie nie die richtigen Karten haben werden. Sie verlieren. So oder so. Jonah Colley arbeitet in einer bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei. Für diesen Job muss er in jeder Hinsicht fitt sein. Körperlich und seelisch. Doch seit zehn Jahren befindet er sich in einer Art Schockstarre und funktioniert nur noch. Privat hat er alles verloren. Sein Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben hat ihn isoliert. Jetzt steht er für sich allein.

Völlig überraschend ruft ihn ein alter Freund an und bittet ihn um ein heimliches Treffen an einem gottverlassenen Ort. Natürlich mitten in der Nacht.

„Du bist der Einzige, dem ich vertrauen kann.“ (S. 12) sagt der Freund.

Als Jonah zum Treffpunkt kommt, findet er vier Opfer eines Serienkillers. Recht schnell lernt er auf die harte Tour, was es bedeutet, einen Mörder bei seiner Arbeit zu stören. Weiterlesen

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