Sophie Hardcastle: Unter Deck

Die junge Protagonistin Olivia hat während ihres Studiums bei ihrem Großvater in Sydney gewohnt. Ihre Eltern leben woanders, zudem ist das Verhältnis zu ihnen nie sehr eng gewesen und seitens des Vaters mit ständigen Erwartungshaltungen verknüpft. Wegen ihm hat sie, anstatt ihrem Wunsch ein Kunststudium aufzunehmen, nun ihren Master in Wirtschaftswissenschaften absolviert.

Die Beerdigungsfeier für den Großvater ist für Olivias Eltern eher eine Pflichtveranstaltung, bei der das Tragen korrekter Kleidung wichtiger scheint als überhaupt zu trauern. Dennoch bricht die Mutter dann doch noch in Tränen aus: Die Farbe ihres Geheuls ist ein unbehagliches Orangerot wie nasses Herbstlaub, matschig und halb verrottet (E-Book S. 56) – In diesem Satz wird wie im gesamten Romanverlauf immer wieder verdeutlicht, wie mit Olivias Leben – vornehmlich mit ihren Gefühlen – Farben verwoben sind.

Der Dominanz ihres langjährigen Freundes Adam ist Olivia ebenso ausgeliefert wie zuvor dem Vater. Als sie eines Tages völlig verkatert auf einem Segelboot unter Deck zu sich kommt, ändert sich ihr Leben durch den Bootsführer Mac und dessen Partnerin Maggie. Die beiden, die eigentlich ihre Eltern sein könnten,  werden zu engen Vertrauenspersonen für Olivia. Vor allem in Maggie findet sie eine Seelenverwandte. Die blinde Maggie ist wie sie selbst Synästhetin und sieht Farben, wenn sie Geräusche, Wörter, Zahlen hört. Olivia stellt sich gegen die Pläne ihres Vaters, verlässt Adam und entscheidet sich für eine lange Seereise mit Mac und Maggie. In der faszinierenden Natur des Korallenmeers scheint Olivia nicht nur am Reiseziel angekommen zu sein, sondern hat auch zu sich selbst gefunden. Durch Mac und Maggie lernt sie das Leben neu zu entdecken und zu werten. Auch nachdem sich ihre Wege teilen, bleibt sie dem Segeln auf dem Meer treu. Vier Jahre später erwacht sie wieder unter Deck eines Seglers. Diesmal bleibt es beim bösen Erwachen. Auf hoher See ist sie den fünf männlichen Mitseglern völlig ausgeliefert. Von Anfang an wird sie nicht als gleichwertiges Crewmitglied behandelt. Die jungen Männer zeigen keinerlei Achtung vor Olivia. Die Situation an Bord eskaliert. Olivia wird gedemütigt und vergewaltigt. Die Macht und Übermacht der Jungs zwingt sie in eine Ohnmacht, aus der sie sich nicht befreien kann. Die Tage auf See werden zum Martyrium. Auch als es vorbei ist und sie wieder an Land ist, bleibt sie in dem Trauma gefangen, das ihre Peiniger in ihr ausgelöst haben. Maggie ist es, die Olivia nach den schlimmen Tagen auf See wieder zur Seite steht. Durch Maggie findet Olivia dann endlich auch zur beruflichen Erfüllung. Dennoch bleibt das schreckliche Trauma weiter ein Teil von ihr, von dem sie sich nicht befreien kann. Immer wieder wird sie von den durchlebten Qualen auf See eingeholt. Es dauert lange, bis sie wieder jemandem vertrauen kann und dann doch wieder nicht. Das Trauma bleibt stärker. Am Ende wird mit einer Reise in die Antarktis wieder das anvisierte Ziel gleichzeitig Ankunft wie Heimkehr.

Es sind bedeutsame Lebensstationen einer jungen Protagonistin, an denen uns die Autorin teilhaben lässt. Sophie Hardcastle gelingt es, eindringliche Situationen so grauenvoll wie sie sind, ohne Tabus, in die genau passenden Worte zu fassen.

Dieser Roman lebt von großen Emotionen. Aus Macht und Gewalt resultieren Angst und Selbstverachtung als ewiges Stigma, das alle Glücksmomente überschattet. – Spannende Lektüre!

Verena Kilchling hat den Roman vom Australischen ins Deutsche übersetzt.

Sophie Hardcastle: Unter Deck.
Kein & Aber, Mai 2021.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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