Olenka sitzt in einem Park in Helsinki, als sich eine fremde Frau neben sie setzt. Sie fühlt sich gestört, denn sie wartet darauf, dass eine bestimmte Familie auftaucht. Eine Familie, zu der Olenka eine ganz besondere Beziehung hat, der sie sich jedoch nicht zu erkennen gibt. Sie vermutet, dass die Frau ein Gespräch über die Hunde beginnen möchte, aber ihre Banknachbarin bleibt zunächst stumm.
Als Olenka sie genauer anschaut, wird ihr bewusst: Hier geht es nicht um Hunde. Es geht um die Vergangenheit, um Kinder, um gegebene und zerstörte Leben und um Rache. Daria hat sie gefunden – als Erste, aber nicht als Letzte.
Stück für Stück setzt die vielfach ausgezeichnet Autorin finnische Autorin Sofi Oksanen das Leben ihrer Protagonistin zusammen, macht ihre Zerrissenheit zwischen verschiedenen Welten greif- und erlebbar. Zwischen Ost und West, zwischen Reich und Arm, zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
Olenkas Leben gleicht einer Achterbahn. Sie versucht sich als Model, entkommt aus eigener Kraft der bitteren Armut in ihrem Heimatdorf in der Ukraine, steigt auf in der „Eizellenspenden-Branche“, wirbt Frauen an und verdient viel Geld damit. Ein auslaugendes und gefährliches Metier in vielerlei Hinsicht. Die ukrainischen Frauen und ihre Eizellen werden zur Ware, über ihren Körper bestimmen andere. Dabei ist Olenka zweifelhafte Einnahmequellen gewohnt. Ihr (auf nicht natürliche Weise verstorbener) Vater war in dubiose Geschäfte verstrickt und aus dem Mohn, den ihre Mutter und ihre Tante anbauen, wird Opium gewonnen.
Gewalt ist an der Tagesordnung, fast schon gewohnt und normal. Sofi Oksanen erzählt literarisch brillant eine krasse, aber sicher realistische Geschichte aus osteuropäischen Gegenden, die geografisch gar nicht so weit von uns entfernt sind, doch deren Kultur und gesellschaftlichen Verhältnisse uns im „Westen“ – zumindest kann ich das von mir sagen – nicht sehr vertraut sind.
Olenka, aber auch alle anderen Figuren sind mir sehr nahe gekommen. Ihre Hoffnungen, ihre Verzweiflung, ihr Streben nach Glück treffen ins Mark. Lebendig und vielschichtig zeichnet die Autorin die Charaktere und weckt dadurch selbst für diejenigen ein gewisses Verständnis, die eigentlich „die Bösen“ sind.
Durch verschiedene Zeitebenen treibt Sofi Oksanen die Spannung in die Höhe, nur langsam versteht man, was passiert ist, kann das Puzzle zusammensetzen. Um den Faden nicht zu verlieren, ist etwas Konzentration gefragt. Doch von Anfang an ist klar: Die Geschichte spitzt sich mehr und mehr zu, Olenka schwebt in Lebensgefahr.
„Hundepark“ ist einerseits ein bedrückender, sehr politischer Roman, der die Augen öffnet und wütend macht. Andererseits hat er Thrillerqualitäten, die fesseln und den Atem rauben. Kein Wohlfühl-Roman, sondern eine typische Geschichte von Sofi Oksanen, die von Angela Plöger übersetzt wurde und die ich allen sehr empfehlen kann, die nicht vor der Realität zurückschrecken und großartige Literatur lieben.
Sofi Oksanen: Hundepark.
Aus dem Finnischen übersetzt von Angela Plöger.
Kiepenheuer&Witsch, Januar 2022.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.
Mich hat auch dieser Thriller sehr beeindruckt, zumal er Einblicke in eine Welt gewährt, die ich nicht für möglich gehalten hätte, besonders, was die Armut und die damit verbundene Willkür und Gewalt in der Ex-UDSSR betrifft. Vielleicht macht das Leben im reichen Westen auch naiv. Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, dass wir Menschen alle die gleichen Grundbedürfnisse haben, und dass es darauf ankommt, wie korrupt und mafiös Staaten sind, in denen man aufwächst bzw. verstrickt ist, weil man keine Chancen hat, diesen Banden zu entkommen.
Den Schluss des Buches fand ich allerdings etwas unbefriedigend, denn es wird nicht geklärt, wann und warum Oleh stirbt oder warum Lada Daria in Schutz nimmt und den Mord an ihrem Mann Olenka in die Schuhe schiebt. Auch ob Olenka sich am Ende von Roman resp. der Krawezschen Bande töten lässt.
Vielleicht habe ich da etwas überlesen. Diese Puzzleteile habe ich jedenfalls noch über. Wenn jemand sie zuordnen könnte, würde ich mich sehr freuen!
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