Erst im letzten Drittel beeindruckte mich das Buch wirklich. Dann aber auch tief. Andreas Eggers Geschichte ist die eines Alpenländlers, von denen es bestimmt viele gab und gibt, ärmlich aber fest naturverbunden, wetterkundig und leidlich mürrisch. In Gasthäusern auf Eckbänken still die Suppe löffelnd und draußen steht der Schlitten, den der bärtige Wuchtling, eigenhändig, beladen mit den Vorräten eines Monats, auf seine einsame Hütte zieht. Die steht hoch oben am Hang mit gnadenloser Aussicht auf das Wetter von Übermorgen. In etwa so. Eine schwere Kindheit bei Adoptiveltern, auch schwer geschlagen in Armut und Glauben, mit ein paar Widerwärtigkeiten durch den Bauern und der still leidenden Bäuerin. Aber aus Eggers wird ein kräftiger, wenn auch nicht im schulwissenden Sinne, kluger Mensch, der versteht, sich durch dieses karge Leben zu manövrieren. Dann ist er dabei, wie in dieses, bisher gottverlassene Tal, die Elektrizität einkehrt und er übersteht, ohne recht zu wissen, was eigentlich los ist, den Krieg als alpiner Soldat im eiskalten Kaukasus und sieht dabei sogar dem Russen ins Auge. Nach Jahren der Gefangenschaft, die er fast gleichmütig übersteht, kehrt er in sein Tal zurück und hat die erste und letzte Begegnung mit Marie. Es endet tragisch. Vorher gibt es noch ein verwirrendes Erlebnis mit dem Hörnerhannes, den Eggers retten will, aber dieser Greis entwischt ihm im Schneetreiben. Dann gibt es so was wie Ruhe in seinem Leben, er wird Seilbahnbauer und auf Grund seiner Kraft und Ruhe ein guter Arbeiter. Er lebt am Ende in einer dieser weiter oben beschrieben Hütte und ab und an im Tal, sieht er sogar 1969 im Fernseher eines Wirtshauses, wie der erste Mensch den Mond betritt. Und wie gesagt im letzten Drittel oder noch später kommen so wunderbare Zeilen wie: „Bald kommt der Frühling. Die Vögel haben ihn schon gesehen. In den Knochen regt sich was. Und tief unterm Schnee platzen schon die Zwiebeln“. Und jetzt wird klar warum ich hier aufhorchen musste: ein Gedicht von mir, ca. 10 Jahre alt, fängt folgendermaßen an: „Noch Wintertag, da regt sich was, nicht nur bei Murmeltieren, auch mir ist so als würd` ich‘ s spüren, unter mir wächst schon das Gras“. Und somit schaute ich noch genauer hin und mit diesem wunderbaren Zitat will ich schließen: „Er hatte geliebt. Und er hatte eine Ahnung davon bekommen, wohin die Liebe führt. Er hatte gesehen wie Männer auf dem Mond herumspazierten. Er war nie in die Verlegenheit gekommen, an Gott zu glauben, und der Tod machte ihm keine Angst. Er konnte sich nicht erinnern, wo er hergekommen war, und letztendlich wusste er nicht, wo er hingehen würde. Doch auf die Zeit dazwischen, auf sein Leben, konnte er ohne Bedauern zurückblicken, mit einem abgerissenen Lachen und einem einzigen, großen Staunen.“ Da kommen mir die Tränen. Aber echt!
Robert Seethaler: Ein ganzes Leben.
Hanser, Juli 2014.
160 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Fred Ape.