Es gibt extreme Situationen, die in einem Leben alles verändern können. Meist zum Guten. Bei dem fünfzehnjährigen Carl ist es anders. Sein Leben wird schlimmer und schlimmer und schlimmer.
Carl lernt den Tod kennen, als er mit seinem älteren Bruder Rob und Neisha, dessen Ex-Freundin, in einem See schwimmt. Rob ertrinkt unter mysteriösen Umständen. Neisha hat bei ihrer Rettung panische Angst, während sich Carl an nichts mehr erinnern kann. Er kann auch nicht trauern und leidet unter Schuldgefühlen. War möglicherweise er für Robs Tod verantwortlich?
Nachts in seinem ärmlichen Zimmer merkt er trotz seines Gedächtnisverlustes, dass vieles nicht in Ordnung sein kann. Wer die Stimme des verstorbenen Bruders hört, oder seine Gestalt zu sehen glaubt, muss verrückt sein, findet Carl. Und bestimmt ist er auf dem besten Weg, wahnsinnig zu werden.
„… Es ist nichts, nur ein Tropfen. Ich lege meine Fingerspitze drauf und versuche ihn wegzuwischen, doch plötzlich ist Rob wieder da, macht sich in meinem Kopf breit.
Hör nicht auf die Schlampe.
Seine Stimme ist in meinen Ohren. Der strenge Geruch des Seewassers in meiner Nase.“ (S.124)
Allmählich beginnt Carl, die Hintergründe des ständigen Horrors zu verstehen: Der Geist seines Bruders ist mit dem Wasser verbunden. Vielleicht weil er im Wasser umgekommen ist? Auf jeden Fall ist Rob unendlich wütend auf Carl und den Umstand seines Todes. Sein an Carl gerichteter Befehl ist unmissverständlich:
„… Bring die Schlampe um.
Er ist hier. Er wird mich nie mehr in Ruhe lassen. Wo immer ich hingehe, was immer ich tue, er wird da sein.“ (S. 205)
Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt, den Carl im Prinzip nicht gewinnen kann. Sintflutartige Regenfälle erlauben Rob, allgegenwärtig zu sein. Und da ist noch Neisha, die Rob tot sehen möchte und die Carl heimlich liebt.
Rachel Ward hat nach ihrer Numbers-Triologie eine Geistergeschichte und zugleich einen Thriller geschrieben, der rasant erzählt und unheildrohend von der ersten bis zur letzten Zeile wie ein Zug ohne Bremsen durch den Kopf des Lesers rauscht.
Auf der einen Seite darf sich der Leser auf eine kurzweilige Lektüre freuen, in der Carl ein Übermaß an Not, Angst und Problemen aushalten muss. Auf der anderen Seite gibt es nach dem schnellen Anstieg der Spannungskurve auf höchstem Niveau keine weiteren Steigerungen mehr, so dass ab der Mitte des Thrillers unterschwellig der Eindruck entsteht, hier könnte die Autorin ihre Trümpfe zu früh ausgespielt haben. Vielleicht hat sie aus diesem Grund Raum für die Liebesgeschichte zwischen Neisha und Carl geschaffen, um für den finalen Kampf einen weiteren Motivationskick aufzubauen. Auch wenn das eine oder andere Detail nicht unbedingt plausibel erscheint, sorgt die spannende Geistergeschichte für Nervenkitzel.
Rachel Ward: Drowning – Tödliches Element.
Chicken House, Novemberr 2013.
304 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.