Nettie Jones: Fish Tales

Lewis Ex-Mann sagt: „Ich finde dich nicht verrückt. Ich finde dich mutig. Die meisten können sich ein Leben, wie du es lebst, nicht einmal vorstellen.“ (S. 195)

Wie soll man Lewis Leben beschreiben, das sich die meisten Menschen nicht vorstellen können? Lewis hat früh gelernt, wie wichtig es ist, anderen – insbesondere Männern – zu gefallen. Nachdem sie viel zu früh von einem Pädophilen verführt worden ist, entwickelt sich die junge Lewis zu einem „heißen Feger“. Sie tobt sich in jeder Hinsicht aus, bis sie ein Alter erreicht, um nicht einmal als Bettvorlage erwünscht zu sein.

Der Debütroman Fish Tales von Netti Jones erschien 1983, ein zweiter Roman folgte sowie Essays und Kurzprosa. Sie hatte das Glück, zwei Fürsprecherinnen für sich zu gewinnen: Gayl Jones, die nach der Lektüre ihrer Tagebücher zu ihr sagte: „Schreib!“ – und Toni Morrison, ihre Lektorin bei Random House.

„Wir Schriftsteller kämpfen auf unsere eigene Weise. Es hat letztendlich damit zu tun, das Leben zu nehmen.“ (S. 219, Nachwort der Autorin)

Das Leben hat von der Autorin schon lange viel genommen, und sie nahm es, wie es war. Für ihr Debüt hatte sie die Motivation Geldnot. „Meine Quellen waren versiegt.“ (S. 211, Nachwort der Autorin) Also schrieb sie ihr erstes Buch. „Ich schrieb es, wie ich es nicht anders kann: überspitzte die Wahrheit, machte die Menschen größer als im echten Leben – grotesker, unmoralischer, wilder. … Hauptsächlich handelte mein Buch von Männern, die ich damals kannte – und das waren viele.“ (S. 214, 215, Nachwort der Autorin)

Mit einigen von ihnen waren die Episoden eher von kurzfristiger Natur. Andere dauerten länger, hinterließen Spuren. Im letzten und längsten Kapitel verbringt Lewis, die Ich-Erzählerin, viel Zeit mit dem querschnittsgelähmten Schriftsteller Brooks, der vampirähnlich seine „Frauen“ aussaugte, indem er an ihre Hilfsbereitschaft appellierte. Der Gedanke, gebraucht zu werden, kann den Trugschluss von Stärke und Unabhängigkeit vermitteln. Es dauerte sehr lange, bis Lewis ihren Irrtum erkennt.

Lewis erzählt in ihrem erotischen Roman offen über ihren Aufstieg auf der sexuellen Karriereleiter und dem unausweichlichen Fall. Denn irgendwann erreichte sie ein Alter, das potenzielle Sexpartner weniger interessant fanden. Sie zeigte Mut, Courage und eine Freiheit, die vor den 1970-er Jahren mehr als ungewöhnlich war. Damals verlangten nicht nur umtriebige Männer von ihren zukünftigen Ehefrauen ein intaktes Jungfernhäutchen.

Nettie Jones: Fish Tales
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gesine Schröder
Aufbau, April 2025
223 Seiten, Hardcover, 22,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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