In fortgeschrittenem Alter blickt der Erzähler bei einer Rückkehr in die Heimatstadt in seine Kindheit zurück, beginnend mit seinem siebten Geburtstag, den er ganz ohne Gäste verbrachte. Eine recht trostlose Zeit beschreibt er, unter anderem terrorisiert vom neuen Kindermädchen seiner Eltern, das einfach keine Jungs zu mögen scheint. Aber die 11-jährige Nachbarin Lettie entführt ihn in eine andere Welt und wird zu einer wichtigen Stütze und Verbündeten.
Neil Gaiman kannte ich bisher nur von seinen ziemlich erfolgreichen Fantasyromanen, die stets durch gute Schreibstile glänzen und viele tolle Ideen mitbringen. Einen ernsten, eher poetisch angehauchten Roman hätte ich ihm nicht zugetraut. Dass ihm dies dennoch gelingen kann, zeigt „Der Ozean am Ende der Straße“, Sehr tiefgründig und ruhig führt der Erzähler durch seine Kindheit und schildert die Beobachtungen auch vom Standpunkt eines Kindes aus. Man merkt schnell, dass er erst im Nachhinein, viele Jahre später, die Bedeutung mancher seiner Entdeckungen wirklich versteht. Und das macht auch dieses Buch ein klein wenig magisch. Mir hat die Grundstimmung sehr gut gefallen und dieser Roman profitiert von besagter toller Schreibe.
Auch geht die Geschichte teilweise nahe, denn das Schicksal des jungen Erzählers ist in den beschriebenen Kapiteln kein einfaches. Unter Gleichaltrigen ist er ein Außenseiter, seine Schwester begegnet ihm vor allem feindselig und auch das neue Kindermädchen ist nicht gerade freundlich zu ihm und schikaniert ihn zu jeder sich bietenden Möglichkeit. Lettie und ihre Familie sind der einzige Lichtblick, wenn zum Beispiel die Versuche fehlschlagen, zumindest eine gute Beziehung zu seinem Vater aufzubauen. Die Tragik, die zwischen Vater und Sohn liegt, steht dabei nicht immer im Vordergrund, spielt aber meines Erachtens auch eine wichtige Rolle.
Eine poetische Lesereise mit passender Grundstimmung – durchaus lesenswert!
Neil Gaiman: Der Ozean am Ende der Straße.
Eichborn, Oktober 2014.
240 Seiten, Gebunde Ausgabe, 18,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.