Ein Dolchmörder versetzt die Wiener Bevölkerung in Angst und Schrecken. Dominik Greve, Chefinspektor bei der Wiener Kriminalpolizei, findet heraus, dass alle Opfer Schmuckstücke bei sich trugen, die von dem berühmten Juwelier René Kardos gefertigt worden sind. Greve sucht fieberhaft nach einem Zusammenhang, denn die Abstände, in denen der Täter zuschlägt, werden immer kürzer.
Die bekannte Schriftstellerin Madeleine Scuderi zieht durch eine missverständliche Aussage, die in der örtlichen Presse wie ein Lauffeuer verbreitet wird, das Interesse des Täters auf sich. Er schenkt ihr ein wertvolles Goldcollier mit Brillanten und passenden Ohrringen und erklärt sie zu seiner persönlichen Muse. Madeleine nimmt eigene Ermittlungen auf und bringt sich damit in tödliche Gefahr.
Wem Plot und Personen dieses Thrillers bekannt vorkommen, täuscht sich nicht. Nadine d‘Ararchat und Sarah Wedler bedienen sich in ihrem Debut der Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ von E.T.A. Hoffmann. Diese Geschichte gehört zu einer Sammlung von neunzehn Erzählungen, Novellen und Märchen, die von 1819 bis 1821 unter dem Titel „Die Serapionsbrüder“ in Berlin erschienen sind und gilt als erste Kriminalgeschichte der Weltliteratur.
Die Ereignisse, von denen Hoffmann berichtet, gehen auf historische Vorgänge zurück, von denen Johann Christoph Wagenseil im 17. Jahrhundert in den Chroniken der Stadt Nürnberg und Voltaire 1751 in seinem „Siècle de Louis XIV.“ berichten.
Den beiden Autorinnen gelingt das Wagnis, die reichlich geschwätzige Vorlage Hoffmanns zu entstauben und aus dem Paris zu Zeiten Ludwigs XIV. ins Wien des 21. Jahrhunderts zu verlegen, erstaunlich gut.
Die Ereignisse berichten d’Arachart und Wedler aus vier sich abwechselnden Erzählperspektiven. Aus Sicht des Täters erlebt der Leser die letzten beiden Morde mit und wird in die Gedankenwelt eines Besessenen hineingezogen.
Madeleine Scuderi, bei Hoffmann ein ältliches, etwas hausbacken auftretendes Fräulein, ist bei d’Ararchat und Wedler eine selbstbewusste und lebenserfahrene Frau, die ihr freies Autorinnendasein einem Leben als Ehefrau vorgezogen hat. Als ihr langjähriger Freund und Partner Paul an Krebs stirbt, stürzt sie sein Tod in eine tiefe Krise und trübt ihren sonst klaren und unbestechlichen Blick.
Kriminalinspektor Dominik Grebe erlebt sein persönliches Debakel. Seine Ehe, die durch seine ständige Abwesenheit und eine Fehlgeburt seiner Frau schon länger stark belastet ist, droht wegen seiner geradezu obsessiven Ermittlungen im Fall des Dolchmörders zu zerbrechen.
Auch Marie, die Tochter des Nobeljuweliers Kardos, wird in den Fall hineingezogen. Ihre Beziehung zu ihrem Freund Oliver, einem Angestellten ihres Vaters, wird auf eine schreckliche Probe gestellt.
Die beiden Autorinnen verzichten auf explizite Gewaltdarstellungen, die heute in der Spannungsliteratur leider üblich geworden sind. Sie bauen die Spannung in ihrem Thriller allein durch die geschickte Zusammenstellung der vier unterschiedlichen Erzählperspektiven auf. Der Leser weiß immer mehr als die einzelnen Protagonisten, doch nie genug, um dem Mörder auf die Schliche zu kommen.
Einzig das Ende, das der Vorlage Hoffmanns geschuldet ist, empfand ich im 21. Jahrhundert nicht ganz glaubwürdig und in seiner Moral reichlich anachronistisch. Doch das trübt den Lesegenuss des spannenden Thrillers nicht.
Fazit: Gelungenes Debut zweier vielversprechender Autorinnen, von denen es in Zukunft hoffentlich noch viel zu hören bzw. zu lesen geben wird.
Nadine d’Arachart & Sarah Wedler: Die Muse des Mörders.
Labor, Februar 2012.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Martina Sprenger.