Miriam Böttger: Aus dem Haus

Lassen Sie sich vom Buchtitel nicht täuschen. In diesem urkomischen und gleichzeitig feinfühligem Debüt der ZDF-Journalistin Miriam Böttger geht es nicht etwa um Heranwachsende, die das Elternhaus verlassen. Ganz im Gegenteil. Im Mittelpunkt steht ein Best Ager Ehepaar, das sein Eigenheim verkauft. Eine Situation, die gleichfalls herbeigesehnt, wie gefürchtet wird. Einerseits machen die Eltern der Erzählerin das „Scheißhaus“ für all ihr Übel verantwortlich, das damit begann, vom sonnig-fröhlichen Weinheim ins betulich-kühle Kassel zu ziehen. Anderseits verfallen sie in panische Nostalgie, als der Umzug tatsächlich ansteht.

In ihrem Roman stellt die Autorin die oftmals mit „typisch deutsch“ assoziierte Charaktereigenschaft dar, das Glas stets halb leer, statt halb voll zu sehen. Und gleichzeitig doch nichts an den Umständen zu ändern, nach dem Motto: „Von zwei Möglichkeiten nehme ich das Übel, das ich zumindest schon kenne.“ Obwohl die Familie gut situiert ist und eigentlich alles hat, will sich kein echtes Glück einstellen.

Zur Verdeutlichung hat Miriam Böttger ihre ProtagonistInnen mit allerlei verschrobenen Charaktereigenschaften versehen und glänzt köstlichen Dialogen. Zum Beispiel, als Mutter und Tochter im Kaufhaus gefragt werden, ob sie sich für Wellness interessieren und sie antworten „Wir interessieren uns höchstens für Badness.“ (S. 43)

Pessimismus in schönsten Stilblüten

Dreh- und Angelpunkt ist die Mutter, extravagant in ihrem modischen Auftritt und in ihrem Tagesablauf. Sie geht ins Bett, wenn der Vater bereits wieder aufsteht. In Kassel findet sie keine Freunde, dafür aber eine Depression. Ihre Tochter fährt sie im Porsche zur Schule, was dieser peinlich ist. Aber Kassel ist nun mal eine Autostadt. Ohne Auto bist du nichts. Ohne Führerschein praktisch scheintot. Der Vater hat resigniert und sieht seine Hauptaufgabe darin, die Launen der Mutter einzudämmen oder diesen zumindest aus dem Weg zu gehen. Die Tochter und Ich-Erzählerin erkennt erst nach ihrem Auszug, wieviel von der pessimistischen Denkweise ihrer Eltern sie bereits verinnerlicht hat und wie schwer es ist, davon loskommen. „Heilung“ für Ihre Eltern scheint undenkbar. Selbst außerhalb des Hauses kommen sie nicht davon los, fahren mit Übergepäck in den Urlaub und kaufen vor Ort erstmal in Apotheken und Baumärkten ein, um sich für Notfälle zu rüsten.

Altern ist ein Skandal!

Den Hang zum Unglücklichsein prägt ebenso die Nebencharaktere der Familie. Es wird sich in Bibelsprüche und Geschenkewahnsinn geflüchtet. Grandios auch das mütterliche „Zeitproblem“. Altern empfindet die Mutter als Skandal, Geburtstage werden nie gefeiert.„Natürlich ist jedes Leben ein Kampf gegen die Zeit, aber meine Mutter hatte sich immer mit einer Wucht gegen die Vergänglichkeit gestemmt, mit einer Verzweiflung, die ich von niemandem sonst kannte. Auch die größten Melancholiker arrangierten sich irgendwann, fühlten eine gewisse Reife in sich aufsteigen, fanden im Wechsel der Jahreszeiten Trost. Solche Leute waren für meine Mutter nur rückgratlose Verräter.“ (S. 12)

Gelungenes Romandebüt der ZDF-Journalistin

Miriam Böttgers gelungenes Debüt ist herrlich komisch und melancholisch zugleich. Sie beherrscht den lauten Humor ebenso wie die leisen Untertöne. Mit leichter Hand beschreibt sie einige Luxusprobleme der heutigen Zeit, wie den Drang, immer mehr zu wollen und nie mit dem zufrieden zu sein, was man hat. Für den Plot hat sie sich stark an ihrer eigenen Familie orientiert, was diesen sehr lebendig macht. Es gibt den Spruch: Wir waren glücklich und merkten es nicht. Ein Satz, der diesen Roman hervorragend auf den Punkt bringt.

PS: Falls Sie eine Person kennen, die Sie nicht leiden können und die nach Kassel zieht, ist dieser Roman eine hervorragende Geschenkidee, um derselbigen den Umzug zu vermiesen (und umgekehrt, falls Sie eine Person mögen, der nach Weinheim an der Badischen Weinstraße zieht)!

Miriam Böttger: Aus dem Haus.
Galiani Berlin, September 2024.
224 Seiten, gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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