Michelle Marly: Die Villa in Weimar

Von Marie Seebach hatte ich nichts gehört, bevor ich diesen Roman gelesen habe. Das muss ich zugeben. Dass sie Mitte des 19. Jahrhunderts Deutschlands berühmteste Schauspielerin gewesen ist, wusste ich bis dahin nicht. Als Marie Seebach am 12. August 1897 beerdigt wurde, ließen der deutsche Kaiser und andere Hoheiten Kränze niederlegen, als Beweis ihrer Wertschätzung. Brilliert hat sie wohl vor allem in der Rolle des „Gretchen“ in Goethes Faust. Marie Seebach war über die Grenzen Deutschlands bekannt und berühmt, hatte Engagements an allen wichtigen Theatern, dennoch scheint ihr Ruhm vergänglich.

Ihre Ehe mit dem damals ebenfalls berühmten Tenor und Wagnersänger Albert Niemann dauert nur wenige Jahre. Ihr gemeinsamer Sohn Oscar wird nur 31 Jahre alt, er stirbt an der Schwindsucht. Geblieben ist von Marie Seebach ihre Stiftung, die sie als Heim für alte und mittellose Bühnenkünstler in einer Villa in Weimar eingerichtet hat. Eingeweiht im Oktober 1895, existiert diese Stiftung noch heute. Nicht mehr nur offen für Bühnenkünstler, auch Vertreter anderer Kunstrichtungen sind inzwischen willkommen. Die „Villa in Weimar“ war das erste und wohl noch immer einzige Altersheim dieser Art, das in Deutschland gegründet wurde. Ähnliche Einrichtungen, die bis heute bestehen, sind das Casa Verdi, das in Italien von Giuseppe Verdi für alternde Musiker geschaffen wurde und das Maison des Artistes, das allerdings erst 1952 in Paris gegründet wurde. Die Person der Marie Seebacher und ihre Stiftung sind also historisch belegt, ebenso wie die Vorkommnisse im Stift, die Geschichten der ehemals nur sechs Bewohner.

Frei erfunden sind dagegen die Personen, die im Roman das Geschehen weitestgehend tragen: die examinierte Krankenschwester Lotte Wernitz, die von Marie nach Weimar geschickt wird, um die Probleme mit der illegalen Schankwirtschaft und dem Weinverkauf, den die Hausverwalter illegal betreiben, aufzudecken, wie auch die Gestalt des jungen Rechtsanwaltes Bernhard Gaspari, der sich um die Rechtsangelegenheiten der Stiftung kümmert und für die Probleme und Nöte der alten Herrschaften ein offenes Ohr hat. Marie Seebach weilt zur Kur in St. Moritz, als sie durch anonyme Briefe von den Unregelmäßigkeiten im Heim in Weimar erfährt. Zunächst soll ihre Schwester Wilhelmine nach dem Rechten sehen, aber auch sie scheint eher in die Machenschaften verstrickt als dagegen vorzugehen, sodass Marie sich entschließt, die junge Krankenschwester Lotte inkognito nach Weimar zu schicken. Lotte hat bald einen guten Draht zu den Heimbewohnern und entdeckt eher zufällig, dass der geäußerte Verdacht des illegalen Weinhandels stimmt. Das zu beweisen ist allerdings nicht einfach, zumal inzwischen die Nachricht von Maries überraschendem Tod in Weimar für Betrübnis und Verunsicherung über die Zukunft des Heims sorgt.

Eine interessant erzählte Geschichte über das Vermächtnis einer Frau, die sich auf eher ungewöhnliche Weise ein Denkmal gesetzt hat aus Menschenfreundlichkeit, Sorge um alternde Künstlerkollegen, die meistens wenig vorgesorgt haben für ihr Alter und auch heute noch oft schlecht abgesichert sind. Um Freundschaft und ein beschwerliches Dasein als Schauspielerin in einer Zeit, in der das Reisen, wenn man auf Tournee ging, noch lange nicht so komfortabel und bequem war wie heute. Die einzelnen Personen sind sehr realistisch dargestellt, orientiert an den Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts, die Liebe zur Stadt Weimar mit ihren Dichterfürsten Schiller und Goethe scheint in jedem Satz durch. Die Sprache ist der Zeit angepasst und klar. Die Figur der Marie Seebach bleibt mir dennoch ein wenig verschwommen. Man erfährt zwar immer wieder einiges über ihr Leben als junge Schauspielerin, über die Konkurrenz, mit der sie sich messen lassen musste, über ihre Liebe zu ihrem späteren Mann, die kurze Ehe und die Verzweiflung über den Tod ihres Sohnes, dennoch hätte ich gerne ein bisschen mehr über die Person erfahren, die sich mit ihrer Stiftung unsterblich gemacht hat.

Michelle Marly: Die Villa in Weimar
Harper Collins, Mai 2025
305 Seiten, Paperback, 17,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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