Ein historisch fundierter, fesselnd geschriebener Roman über eine Zeitspanne von weniger als zwei Jahren, in denen die Stadt Münster das wohl willkürlich gewählte Zentrum der sogenannten Wiedertäufer war, eine eigentlich von der Grundeinstellung friedliche religiöse Gemeinschaft, die in Münster „das neue Jerusalem“ errichten wollten, in dem sie das nahende Ende der Welt erwarten wollten. Die Zahl ihrer Anhänger wuchs stetig und bald kam es in der Stadt zu Konflikten, die später nicht mehr gewaltlos waren. Aus Bürgern, die bisher friedlich zusammengelebt und gearbeitet hatten, wurden recht schnell Konkurrenten – im Glauben wie im alltäglichen Leben. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen, zur Belagerung der Stadt durch den Bischof und seine Truppen, zur Verteidigung im Innern.
Das ist das Setting für Michael Römlings neuen Roman. Jakob, Vertrauter der Brüsseler Statthalterin Maria, der Schwester des Kaisers, bekommt von ihr den Auftrag, ein junges adliges Mädchen nach Hause zurückzuholen, das sich – man könnte sagen aus Übermut oder Langeweile – dem wohl charismatischen Anführer der Wiedertäufer angeschlossen hat und mit ihm aus den Niederlanden verschwunden ist. Ihre Spur führt nach Münster, wo Jakob, wie so viele, die sich der neuen Bewegung anschließen wollen, inmitten der herrschenden Wirren nach Ernestine sucht. Wie alle anderen Zugereisten wird ihm eine Unterkunft zugewiesen. Er wohnt zunächst bei dem Schmied Andreas und seiner Schwester Katharina. Hier erlebt Jakob aus erster Hand, was es bedeutet, wenn Glaubensfragen Familien spalten.
Jakob erlebt hautnah mit, wie die eingewanderten neuen Gläubigen zur dominierenden Gruppe in der Stadt werden, wie die Bürger der Stadt das erleben und damit umgehen. Er selbst muss seine wahre Identität mehrfach verleugnen.
Römling zeichnet seine Protagonisten so facettenreich und lebendig, dass man das Gefühl hat, mittendrin zu sein. Realistisch, authentisch und nachvollziehbar erzählt, historisch fundiert – eine Geschichtsstunde der besonderen Art, die man gerne anhört, dran bleibt und vieles daraus mitnimmt über das Wesen der Menschen, die sich so leicht verführen lassen, wenn Ideologen geschickt agieren und nicht daran gehindert werden. Innerhalb von nur zwei Jahren war die Stadt Münster eine völlig andere. Aus der idyllischen, blühenden Kleinstadt wurde eine umkämpfte und belagerte Stadt, in der Angst und Gewalt herrschten.
Wer schon mal in Münster gewesen ist, hat sicher auch die Käfige an der Lamberti-Kirche gesehen. Warum sie noch heute hier hängen und welche Bedeutung sie haben, wird hier erklärt.
Interessant ist nicht nur der Roman selbst, auch das Nachwort des Autors verdient Beachtung.
Michael Römling: Die Stadt der Auserwählten
rororo, August 2025
624 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.