Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes

Wenn man auf Seite 60 noch nicht erkennt, worum es in einem Roman geht und auf Seite 120 noch immer nicht viel schlauer ist, dann stimmt in meinen Augen etwas nicht mit dem Plot.  Was dann dazu führt, dass man die Lust an dem Roman verliert.

Die in Kanada geborene und in England lebende Autorin erzählt uns mehrere Geschichten, die nebeneinanderher laufen und sich dabei nur hin und wieder berühren. So scheint es zumindest.

Da haben wir die kleine Clara, 7 Jahre alt, deren ältere Schwester Rose seit Tagen verschwunden ist. Clara hat sich selbst einige Regeln gegeben, deren Befolgung die Wiederkehr ihrer Schwester sichern soll. So zum Beispiel, dass sie sich außer zum Schlafen und zum Schulbesuch nicht vom Fenster wegbewegt, dort sogar isst und ihre Hausaufgaben erledigt. Von ihrem Fensterplatz hat sie einen guten Blick auf das Nachbarhaus, das der alten Mrs Orchard gehört. Diese ist im Krankenhaus – so glaubt Clara – und das Mädchen versorgt derweil den Kater der Nachbarin.

Die Geschichte von Mrs Orchard erfahren wir durch sie selbst, in Rückblicken im Gespräch mit einer anderen Person, der sie ihre vergangenen Taten zu erklären versucht. Dabei geht es um Verfehlungen, die sie vor vielen Jahren beging und deren Folgen bis in die heutige Zeit reichen.

Eines Tages, Rose ist immer noch verschwunden, beobachtet Clara, wie im Nachbarhaus ein Mann einzieht, Dinge von Mrs Orchard einfach beiseite räumt und sich benimmt, als wäre er jetzt hier zu Hause. Und genauso ist es, wie sich schnell herausstellt. Denn der Mann hat das Haus von Mrs Orchard geerbt und er ist auch gleichzeitig die Person, mit der die alte Frau in Gedanken ihre Vergangenheit aufarbeitet.

In diesem, aus den genannten drei Perspektiven erzählten Roman ist für mich das einzig Spannende die Suche nach Rose, die Leserin möchte erfahren, was mit ihr geschehen ist. Die Rückblicke sowohl der alten Frau wie auch die des Mannes, Liam Kane, sind langatmig, zäh und wenig spannend. Insbesondere die von Liam beschäftigen sich viel mit der gescheiterten Beziehung, die er hinter sich hat. Mrs Orchards Rückblick erläutert zumindest, warum sie ihr Haus und ihren Besitz Liam vermacht, denn sie hat das Gefühl, eine Verfehlung, die sie in seiner Kindheit beging, wieder gutmachen zu müssen.

Auch wenn Clara sich bei Liam Hilfe holt, als sie glaubt, Rose finden zu können, fehlen an sich die Verknüpfungen zwischen den einzelnen Handlungssträngen. Die Geschichte hätte mehr Fahrt gehabt und die Leserin mehr erreicht, hätte sich die Autorin auf die Perspektive des Kindes beschränkt. Denn diese vor allem ist ihr gelungen, Sprache und Stimme des kleinen Mädchens wirken lebensecht und auch ihr Verhalten, ihre Angst wie auch ihr Glaube, dass ihre Schwester zurückkehren wird, sind stimmig und passend in Worte gefasst. Hingegen die Kapitel aus der Sicht von Liam oder Mrs Orchard ziehen sich und halten sich mit Nebensächlichkeiten auf, wie z.B. Szenen, in den Liam mit dem örtlichen Sheriff Reparaturen am Haus ausführt. Diese werden in aller Detailliertheit und mit langatmigen Dialogen erzählt, ohne aber letztlich die Handlung voranzubringen.

Ob ein Roman gefällt, ist immer Geschmackssache und dass dieser Roman in Kanada ein Bestseller ist, bestätigt das nur. Mich hat er leider nicht erreicht.

Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes.
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Lohmann.
Heyne, August 2021.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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