Die 15-jährige Nell lebt nur für ihre kranke Schwester Harper. Die 18-Jährige hat eine seltene Form von Leukämie und muss ständig mit Medikamenten versorgt werden. Und da der Vater sich weigert, ist das in dem Drei-Personen-Haushalt Nells Aufgabe. Ihr eigenes Leben hat sie völlig aufgegeben, ihrer Schwester Harper sogar geschworen, dass sie sich nicht verlieben wird, damit Harper sich als erste verlieben kann – wenn sie irgendwann mal wieder gesund wird. Doch dann stolpert Nell in dem norwegischen Städtchen über Lukas, von dem sie sich magisch angezogen fühlt. Er ist bei Wölfen aufgewachsen und wurde dann von der Familie eines reichen Ölmagnaten aufgenommen. Nells eigener Vater hasst den reichen Mann wie die Pest und deshalb sollte er besser nie erfahren, dass sich Nell mit seinem Adoptivsohn trifft.
Lucy van Smits Geschichte spielt im fernen Norwegen. Ihre Protagonistin ist zwar Britin, musste aber mit ihrem Vater und der Schwester nach Norwegen ziehen. Vom geheimnisvollen Lukas fühlt sich die 15-Jährige wie magisch angezogen. Er sorgt den ganzen Roman über für eine düstere Stimmung, die oft auch spannungsaufgeladen ist. Und das, obwohl man als Leser oder Leserin etwa auf der Hälfte des Romans alle wichtigen Infos erhält und sich den Rest zusammenreimen kann. Lukas bringt Nell und seinen Adoptivbruder Hagen, von ihm Lille Ulv, kleiner Wolf, genannt, in die Berge Norwegens. Ehe es sich Nell versieht, sucht man sie öffentlich, da sie am hellen Tag ein Baby gestohlen habe! Nell will natürlich sofort umkehren, doch Lukas wickelt sie geschickt ein.
Überwiegend wird die Geschichte aus der Sicht der unsicheren Nell erzählt. Sie ist von ihrer Familie abhängig, lässt sich von der Schwester sogar körperlich misshandeln, damit es nicht nur Harper schlecht geht. Sie muss alle eigenen Wünsche zurückstecken, damit die Schwester im Mittelpunkt steht. Selten habe ich eine schwer kranke Romanfigur erlebt, die unsympathischer rüberkam als Harper.
Nell gegenüber steht dann aber auch Lukas‘ Perspektive. Er ist bei den Wölfen aufgewachsen und hat ihre Regeln verinnerlicht. Als sein Ziehvater auftauchte und die Wölfe abschlachtete, um den Jungen an sich zu nehmen, hat er etwas in Bewegung gesetzt, das noch viele Jahre später arbeitet und diese Geschichte am Laufen hält.
Alles in allem eine spannende Geschichte, fernab vom klassischen Jugendbuch, ohne dabei die typischen Themen aus dem Auge zu verlieren.
Lucy van Smit: The Hurting: Als du mich gestohlen hast.
Chicken House, Februar 2019.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.