Louise Nealon: Snowflake

Eine liebenswertere, aber auch eine chaotischere Hauptfigur habe ich lange nicht getroffen in einem Roman. Die irische Autorin erzählt in ihrem Debütroman warmherzig und berührend in vielen Episoden vom so gar nicht einfachen Landleben und dem Erwachsenwerden der Debbie White.

Die blutjunge Debbie wird auf einem Milchbauernhof groß, fern der Großstadt und fern dem „normalen“ Leben. Denn ihre Mutter Maeve lebt ihre Träume, träumt ihr Leben. Und Debbies Onkel Billy, der in einem Wohnwagen haust und mit Debbie in die Sterne schaut, zitiert die alten Griechen und hält zusammen mit James, dem Liebhaber von Maeve, den Hof am Laufen.

Als Debbie 18 wird, beginnt sie ein Literaturstudium in Dublin, pendelt jeden Tag vom Hof in die Stadt, vom Landleben ins Stadtleben. Dort prallen zwei Welten aufeinander und die so weltfremd aufgewachsene Debbie scheitert auf ganzer Linie. Das klingt dramatischer als es im Roman beschrieben ist, denn das Leben und Leiden Debbies wird mit zartem Humor, mit Lakonie und ohne Larmoyanz erzählt. Die Autorin verurteilt ihre Figuren nicht, sie schildert mit Empathie und sanfter Ironie, so dass man im Laufe der Handlung Debbie regelrecht liebgewinnt, auch wenn sie oft unverständlich agiert.

In einzelnen Episoden, die nach und nach auf einen unvermeidlichen Höhepunkt zulaufen, folgen wir Debbie durch ihre ersten Monate an der Universität, folgen ihr bei der Betreuung und Versorgung ihrer immer stärker psychisch gestörten Mutter und folgen Billy bei seinen Versuchen, das Ganze irgendwie zusammenzuhalten.

Diese Entwicklungen zu beobachten ist manchmal schmerzhaft, manchmal erschreckend und verstörend, mal erheiternd und mal berührend. Die Figuren in diesem Roman bleiben in Erinnerung. Man darf gespannt sein auf die weiteren Veröffentlichungen von Louise Nealon.

Louise Nealon: Snowflake.
Aus dem Englischen übersetzt von Anna-Nina Kroll.
Mare Verlag, Juli 2022.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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