Die Hafenstadt Stavern befindet sich in einem Winterschlaf. Eine dicke Schneedecke und eisige Kälte sind die Themen in den Medien. Kurz vor Weihnachten wird Lines ehemaliger Nachbar Viggo Hansen gefunden. Für ihren Vater, Kommissar Wisting, sieht es nach einem ganz normalen Todesfall aus. Es fehlen Einbruchspuren, und er kann an der mumifizierten Leiche keine Gewaltanwendungen erkennen. Der alte Mann lebte zurückgezogen, so dass ihn niemand über Monate vermisste. Bisher hat Line Artikel über Kriminalfälle geschrieben. Jetzt will sie eine Reportage für ihre Zeitung schreiben, denn Hansens Schicksal nimmt sie gefangen. Wie kann jemand über vier Monate tot vor seinem Fernseher sitzen, ohne dass ihn jemand vermisst? Sie will mehr über den Verstorbenen erfahren, vor dem sie sich als kleines Mädchen gefürchtet hat. Während sie recherchiert und für ein paar Tage bei ihrem Vater einzieht, wird die nächste mumifizierte Leiche gefunden. Dieser Tote lag über Monate versteckt in einer Weihnachtsbaumschonung. Dieses Mal ist der Fall eindeutig ein Mord. Auch wenn die Spurensicherung wenig findet, verweisen Fingerabdrücke auf eine Mordserie in Amerika. Schneller als es Kommissar Wisting lieb ist, hat er das FBI in seinem Büro. Absolute Geheimhaltung über die mutmaßliche Tragweite dieser Erkenntnisse soll den Mörder nicht aufscheuchen. Kommissar Wisting sucht ein Phantom. Gleichzeitig sitzt ihm die Presse im Nacken. Auch seine Tochter Line sucht. Ihre Recherche bringt sie in tödliche Gefahr.
Der 1970 geborene Jørn Lier Horst schreibt nicht nur sehr erfolgreich Kriminalromane; er kennt auch die polizeiliche Ermittlungsarbeit aus erster Hand. Dies verleiht seinen Büchern ein großes Maß an Glaubwürdigkeit.
Das Thema »Vergessen« zieht sich wie ein roter Faden durch den Kriminalroman. Line findet mehr einsame Menschen, die außerhalb der Gesellschaft leben, als sie zu Beginn ihrer Nachforschungen für möglich hielt. Die im Fokus stehenden Personen leben alle allein. Jeder von ihnen könnte ein Vergessener werden, weil sich niemand um sie sorgt. Line und ihr Vater leben für kurze Zeit unter einem Dach, ohne sich über ihre Arbeit auszutauschen. Die selbstgewählte Isolation hat Folgen, die in schnell wechselnden Kapiteln und Perspektiven bedrohlich anwachsen. Die daraus resultierende Spannung ist pures Lesevergnügen mit Suchtfaktor. Ohne die Beschreibung von brutaler Gewalt ist Jørn Lier Horst eine fesselnde und in jeder Hinsicht grandiose Unterhaltung gelungen.
Fazit. Ein Muss für jeden Krimifan.
Jørn Lier Horst : Eisige Schatten.
Droemer, September 2015.
432 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.