„Diamantnächte“ ist in Norwegen zum Bestseller avanciert.
Hilde Rød-Larsen bedient sich in diesem Roman verschiedener Erzählperspektiven.
Schreibend nähert sich die Protagonistin Agnete ihrer Vergangenheit an. Es ist an der Zeit, dass sie alles notiert, um endlich Klarheit über sich selbst zu bekommen. Bereits während der ersten Sätze wird klar, dass die Geschichte problembehaftet werden wird.
Seit Monaten gehen Agnete büschelweise die Haare aus. Wehrt sich ihr Körper gegen ihre unverarbeitete Vergangenheit? Als ihr Mann für längere Zeit verreist, nimmt sie sich Zeit, über alles nachzudenken. Das gelingt am ihr am besten, indem sie ihre Erinnerungen aufschreibt.
Wir erfahren von Agnetes Studienzeit in London und der unzertrennlichen Freundschaft zu ihrer Kommilitonin Jenny. Als Jenny sie zu einem mehrtägigen Besuch zu ihrem Vater Christoph, einem Psychologen mitnimmt, beginnt sich eine Beziehung zwischen Agnete und dem viel älteren Christoph zu entwickeln. Er ist endlich jemand, der ihren zu dünnen Körper wahrnimmt, ihre Schnittverletzungen am Arm, die sie sich einst selbst zugefügt hat. Agnete wähnt sich bei dem Psychologen verstanden und aufgehoben. Hat sie sich ihm deshalb einfach so hingegeben? Sich damit auseinanderzusetzen, wie es tatsächlich gewesen war, fällt Agnete schwer. Da war und ist zu viel Scham. Offensichtlich hat sie über all die Jahre immer negiert, was belastend war. Tiefer in sich zu gehen und weitere Gedanken zuzulassen, fällt ihr schwer. Sie kommt nicht weiter mit ihrer Aufarbeitung.
Im zweiten Kapitel erfahren wir alles mit neuer Sichtweise und Erzählhaltung. Jetzt, aus der Perspektive der personalen Erzählerin mit veränderten Namen, kann Agnete die Fesseln von sich lösen und alles von außen betrachten, was tiefere, weitere Klarheit bringt.
Hat Jennys Vater sie gewissermaßen manipuliert? Hat er die Situationen ausgenutzt, um sie immer nur zu benutzen? Warum konnte sie sich nie von dieser toxischen Beziehung befreien? Warum hat sie ihr Verhalten nie richtig hinterfragt? War sie immer sie selbst, und war sie sich immer über alles bewusst gewesen? Wie hat sie damals ihr Leben wahrgenommen? Wie haben andere über sie gedacht, wie haben andere ihre Person wahrgenommen? Hat sie sich selbst in sich getäuscht?
Im dritten Kapitel scheint Agnete mehr die Gegenwart zu reflektieren. Sie versucht nachzuvollziehen, warum sich alles so entwickelt hat, wie die Gegebenheiten nun sind. Dabei wechselt sie wieder zur Ich-Form. Nun scheint sie eine distanziertere Wahrnehmung zu ihrer Beziehung zu Christoph gefunden zu haben, was sich auch in der schlichten Nennung nur noch seines Anfangsbuchstabens C. zeigt.
Am Ende ist nicht alles geklärt, vieles bleibt offen.
Kein gewöhnliches Buch.
Hilde Rød-Larsen wurde 1974 geboren und arbeitet als Autorin, Lektorin und Übersetzerin. Unter anderem hat sie Alice Munro und Elizabeth Strout übersetzt. Sie lebt mit ihrer Familie in Oslo. „Diamantnächte“ ist der zweite Roman der Autorin.
Mit park x ullstein hat der Ullstein-Verlag im Herbst 2023 einen neuen Verlag ins Leben gerufen. Wie Ullstein selbst beschreibt, soll hier ein besonderer Schwerpunkt bei der Literaturvermittlung liegen, die sich an eine moderne literarisch engagierte und interessierte, Social-Media-affine Community von Autor:innen, Multiplikator:innen und Leser:innen richtet.
Hilde Rød-Larsen: Diamantnächte.
Übersetzung aus dem Norwegischen: Ursel Allenstein.
park x ullstein, Oktober 2023.
gebundene Ausgabe, 240 Seiten, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.