Das Gesundheits- und Pflegesystem in Deutschland ist derzeit in den Medien sehr präsent. Fachkräftemangel, Pflegenotstand, die Kostenexplosion und gleichzeitig der Abbau von Leistungen im Gesundheitswesen sind Schlagworte, die wohl schon jeder gehört hat. Durch zusätzliche Gelder sollen beispielsweise im Pflegebereich Verbesserungen erreicht werden. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und setzt nicht an der eigentlichen Ursache an.
Der Philosoph und Arzt Giovanni Maio sieht das Gesundheitswesen insgesamt in einer Schieflage. Politische Entscheidungen, vor allem die Überbetonung betriebswirtschaftlichen Denkens und Handels im Sozial- und Gesundheitswesen tragen dort seiner Meinung nach zu einer „Umwertung der Werte“ bei.
Wie sich diese Werte verändert haben und wie sich die „gegenwärtige Lage der Heilberufe“ darstellt, zeigt er im ersten Teil seines neuesten Buches „Werte für die Medizin“ auf.
Hier geht es unter anderem um die Ökonomisierung, das Setzen von (falschen) Anreizen, den Einsatz von Technik und die „Bezahlung nach Leistung“.
In einer fundierten Analyse zeigt er auf, wo die ursprünglichen Werte der Medizin bedroht werden und wie die Arbeit der Ärzte und des Pflegepersonals davon betroffen ist.
Im zweiten Teil wendet er sich den Werten und Fähigkeiten zu, die einen guten Arzt und eine gute Pflegekraft ausmachen. Dazu gehört die Geduld genauso wie die Offenheit und das Zuhören können, aber auch der Takt, die Reflektiertheit und die Erfahrung. Wichtig sind auch die eher unpopulären Werte der Demut und der Treue, die für mich durch Giovanni Maios kluge Erklärungen und Deutungen eine ganz neue Aussage bekommen haben.
Seine Reflektionen über die Werte münden in ein Plädoyer für eine Ethik der Sorge und die Aufforderung, sich als Ärzte und Pflegende für einen darauf zielenden Systemwechsel einzusetzen, um die Sinnhaftigkeit und wertvolle Identität der Heilberufe zu verteidigen bzw. wieder in den Fokus zu rücken. Denn in der Medizin geht es gerade um die Verknüpfung der Wissenschaftlichkeit mit der Beziehung zwischen Arzt und Patienten.
Die Ausführungen Giovanni Maios zeugen von großer Sach- und Fachkenntnis. Seine Gedanken eröffnen neue Perspektiven. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass die Werte, über die er schreibt im gesamten Sozialbereich und in der zwischenmenschlichen Kommunikation im Allgemeinen ausschlaggebend für gelingende Beziehungen sind.
Er beschreibt seinen Ansatz sehr gut verständlich und nachvollziehbar, so dass auch „Nicht-Fachleute“ dieses Buch mit großem Gewinn lesen können.
Was Christie Watson in ihrem Buch „Die Sprache der Menschlichkeit“ aus Sicht ihrer Erfahrung in der Pflege beleuchtet (Link), findet hier seine philosophisch begründete und theoretisch ausgearbeitete Entsprechung für das deutsche Gesundheitswesen, ohne den praktischen Bezug zu verlieren.
Insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die Interesse am Gesundheits- und Sozialwesen, an der Bedeutung von Werten oder einfach an einem gut geschriebenen Buch haben, das zahlreiche Denkanstöße geben kann.
Giovanni Maio: Werte für die Medizin: Warum die Heilberufe ihre eigene Identität verteidigen müssen.
Kösel-Verlag, November 2018.
208 Seiten, Gebundene, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.