Hannelore Hippe: Die verlorenen Töchter

Hannelore Hippe hat in diesem Buch einen bis heute nicht geklärten Kriminalfall um eine mysteriöse halb verbrannte Frauenleiche, die 1970 im Isdal, der Gegend um Bergen/Norwegen, gefunden wurde, aufgegriffen. In ihre fiktiv ausgearbeitete Handlung hat sie Zeugenaussagen, Namen, Daten und Orte aus der Polizeiakte einfließen lassen. 2017 wurde der Fall mit neuen forensischen Techniken abermals untersucht. Erstaunlicherweise gelangten die Ermittler dabei zu ähnlichen Resultaten, wie Hippe sie in der Romanhandlung aufzeigt.

Das Buch beginnt mit dem Fund einer Frauenleiche im Jahr 1970, macht aber nach wenigen Seiten einen Zeitsprung und wechselt ins Jahr 1942. Die Wurzeln dieses Kriminalfalls liegen in der norwegischen Geschichte, als deutsche Wehrmachtssoldaten während des zweiten Weltkrieges das Land bevölkerten:

Die zwanzigjährige Åse findet in Tromsø eine Anstellung in der Wäscherei der Besatzungsmacht. Wie viele andere junge Frauen geht sie eine Beziehung mit einem deutschen Soldaten ein. Weil dies unter großen Teilen der Bevölkerung als höchst anrüchig gilt,  können Åse und der Unteroffizier Kurt sich nur heimlich treffen. Selbst der eigenen Familie kann Åse sich nicht anvertrauen.

Dennoch bleibt ihre Verbindung nicht unbemerkt und beide bezahlen einen hohen Preis für ihre Liebe.

Kurz nach Ende des Krieges bringt Åse ein kleines Mädchen zur Welt und wird daraufhin in ein Straflager verfrachtet. Die deutsch-norwegischen Liebschaften – von den Nationalsozialisten einst begrüßt (das norwegische Blut sollte den germanischen Nachwuchs aufwerten), wurden von der norwegischen Bevölkerung natürlich ganz anders wahrgenommen: Wie tausende andere junge Norwegerinnen wird Åse als „Deutschenflittchen“ geächtet und nach Ende der Besatzung von ihrem Kind getrennt. Nachdem Åse aus dem Straflager entlassen wird, macht sie sich auf die Suche nach Kurt und ihrer kleinen Tochter. Das Drama um die kleine Katrin und ihre Eltern steht stellvertretend für die Situation vieler norwegischer Frauen, die mit deutschen Wehrmachtssoldaten eine Beziehung eingegangen waren. Die Autorin hat durch ihre ausführlichen Recherchen bei denen sie unter anderem auch auf Machenschaften vom Geheimdienst und  Identitätsraub aufmerksam wird, profundes Hintergrundwissen erlangt und damit eines dieser Schicksale emotional und realitätsnah nachempfunden.

Hannelore Hippe: Die verlorenen Töchter.
dtv, Oktober 2018.
224 Seiten, Taschenbuch, 14,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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