„Mensch, ist Liebe schön“, singt der Chansonsänger Georg Käsebier 1929 in Berlin, und eine Zeitungsredaktion, der noch ein paar Zeilen fehlen, empfiehlt den Sänger und seinen Auftritt in der Hasenheide. Damit beginnt der Großstadtroman der Gerichtsreporterin und Schriftstellerin Gabriele Tergit. Ereignisse werden losgetreten, die Käsebier nicht mehr beeinflussen kann, er will einfach nur singen, aber was nun geschieht ist mehr, als er selber in der Hand hat.
Plötzlich will die Berliner High Society Käsebier singen hören, seine Auftritte werden zum Event, der Schmalz seiner Texte populär. Es gibt Käsebier-Puppen und er bekommt einen Vertrag bei der UFA, schließlich hat der Tonfilm Einzug gehalten.
Fast lesen sich die Ereignisse wie in einem Berlin-Roman aus heutiger Zeit: Medien- und Unterhaltungsindustrie dominieren die Stadt gemeinsam mit windigen Bauunternehmern, die unter dem Vorwand, die Kultur zu fördern, Luxuswohnungen bauen wollen (Otto Mitte). Der von den Medien hochgepuschte neue Star wird von Fans umlagert, das Merchandising hat mit seiner Person, seiner Kunst, nichts mehr zu tun.
Das alles ist urkomisch erzählt, in mitreißenden Dialogen, schnell wie ein Film. Und immer wieder trifft den Leser die Erkenntnis: Genauso läuft das heute. Berlin ist wieder Großstadt, bevölkert von Spekulanten, bespaßt von Künstlern mit mal mehr, mal weniger Talent und Bedeutung, Zeitungsredaktionen, die von der Schließung bedroht sind. Man folgt Käsebiers Schicksal, er ist liebenswert unvorbereitet und lässt sich auf das Medien-Karussel rund um seine Person ein. Wie wird er mit dem Ruhm umgehen? Wird er zu den Gewinnern gehören?
Gleichzeitig mit Kästners „Fabian“ erscheint Tergits Roman und ist ähnlich erfolgreich. 1933 flieht Tergit vor den Nazis, die sie aufgrund ihrer Reportagen über rechtsradikale Frauenmörder verfolgen. Den Nationalsozialismus streift sie im Roman nur, aber auch berühren sich das Damals und das Heute.
„Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ gehört zu den Büchern, die in einem Zug verschlungen werden, um nach einiger Zeit ganz in Ruhe noch einmal gelesen zu werden.
ABSOLUT besonders in diesem Bücher-Jahr, absolut lesenswerter Klassiker!!!!!
Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm (1931).
Schöffling, Februar 2016.
392 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.