Auch der sechste der Zürich-Krimis besticht wieder durch akribische Recherche, historisch fundierte Fakten, Charaktere, die sympathisch (oder eben auch nicht) und lebensecht gezeichnet werden, in die man sich leicht hineinversetzen kann, durch eine Story, die in ihrer Authentizität besticht und auch wieder durch die Liebe der Autorin zu der Stadt, in der sie lebt und den Menschen dort.
Wer die vorherigen Bände der Reihe um Schnyder und Meier nicht gelesen hat, braucht keine Scheu zu haben. Die Story um den Toten im Orchestergraben, der eine Open-Air-Aufführung des Zürcher Opernhauses zu einem jähen Ende bringt, ist durchaus unabhängig zu lesen. Die Beziehung zwischen den Ermittlern, Zita Schnyder und Werner Meier spielt zwar auch hier wieder eine Rolle, aber man kommt durchaus zurecht mit dem Familiengeflecht und den Beziehungen Meiers zu den Kollegen von der Polizei. Da Meier zufällig vor Ort ist, wird er mit den Ermittlungen zum Fall beauftragt. Recht schnell steht Lou Müller, die Chorleiterin im Verdacht, das Opfer gestoßen und damit seinen Sturz über eine Brüstung verursacht zu haben. Zeugen haben einen Streit zwischen beiden beobachtet. Lou ist flüchtig. Es beginnt eine Verfolgungsjagd, die nicht nur durch die Schweiz, sondern auch über Deutschland nach Frankreich und England führt und – wie sich später herausstellt – viel tiefergehende Ursachen hat als den Sturz des Mannes in den Orchestergraben.
Eine zentrale Rolle kommt dabei Lous Mutter zu, die seit einiger Zeit in einem Seniorenheim lebt und seit Monaten kein Wort gesprochen hat. So stumm wie sie scheint, ist sie allerdings nicht, hat sie Lou doch durch Aufzeichnungen, die sie gemacht hat, auf die Spur eines Verbrechens gebracht, das achtzig Jahre zurückliegt und das bis heute nachwirkt. Die damals Schuldigen sind auch heute nicht frei von Schuld.
Mit Dokumenten aus der Zeit des Krieges, Erzählungen von Personen, die Lou während ihrer Flucht trifft und eben guter Recherche gelingt es der Autorin, einen aktuellen Fall so in ein lange zurückliegendes Verbrechen zu verweben, dass daraus ein spannender Krimi, eine fesselnde Geschichte wird. Eine Aufarbeitung von Taten, die fast vergessen waren, kein erhobener Zeigefinger, aber durchaus eine Mahnung, dass verbrecherisches Handeln lange nachwirken kann.
Gabriela Kasperski: Zürcher Verrat
Emons, November 2024
Taschenbuch, 320 Seiten, 16,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.