Für Alice Scott ist es ein Traum schlechthin! Schon so ungefähr seit sie lesen kann, schwärmt sie für Margaret Ives und Cosmo Sinclair, deren Ehemann, dessen Platten ihr Vater rauf und runter dudelte. Außerdem hat ihr Vater ihr ein Buch geschenkt, das sich mit dem mondänen Leben der beiden Promis beschäftigt. Alice ist Promi-Reporterin und will unbedingt wirklich bekannt werden. Eine Biografie über Margaret Ives zu schreiben, wäre genau, was ihr dazu verhelfen könnte. Immerhin entstammt Margaret einer der superreichen und ebenso skandalträchtigen amerikanischen Familien. Das Ives-Imperium war im 20. Jahrhundert in allen Schlagzeilen. Dumm nur, dass sie offenbar völlig von der Bildfläche verschwunden ist. Margaret ist abgetaucht und will auch wohl nicht gefunden werden. Das ist Alice völlig gleich. Wozu ist sie Journalistin? Sie wird die Dame schon aufstöbern!
Ganz anders ist die Situation für Hayden. Er ist bekannt, hat den Pulitzer-Preis gewonnen und es eigentlich nicht nötig, über eine Frau zu schreiben, die „mal berühmt“ war, jetzt aber offensichtlich gerne in Ruhe gelassen würde.
Dennoch treffen beide ausgerechnet im Haus von Margaret auf einer kleinen, überschaubaren Insel aufeinander. Beide mit dem Ziel, Margarets Biografie zu schreiben. Während Alice mit ihren mühevollen Recherchen erfolgreich war und hartnäckig auf ein Treffen mit der Verschwundenen hingearbeitet hat, wurde Hayden zu dem Termin eingeladen, wie sich später herausstellt. Beide wollen dasselbe, aber Margaret will – wenn überhaupt – nur mit einem von beiden arbeiten. Um herauszufinden, ob das Alice sein wird oder Hayden sollen beide einen Monat lang auf der Insel bleiben, sich regelmäßig mit Margaret zu Gesprächen treffen und ihr im Anschluss ein Exposé vorlegen. Danach wird Margaret ihre Entscheidung treffen. Beide müssen vorab eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, dürfen auch nicht miteinander über ihre Gespräche reden. Nicht so einfach, zumal sich zwischen Alice und Hayden, wie könnte es anders sein, mehr anbahnt als eine Arbeitsbeziehung, doch das steht nicht im Fokus der Erzählung. Beide Autoren stellen jedoch fest, dass Margaret ihnen ihre Geschichte wohl nur lückenhaft erzählt. Die Lücken zu füllen, stachelt Alice erst recht an.
Ein Roman, der viele interessante Themen aufgreift, keine klassische Liebesgeschichte, wie man erwarten könnte. Die Biografie der Margaret und ihrer Familie wird akribisch aufgearbeitet – manchmal langatmig und mit unendlich vielen Namen, die man schwer sortieren kann. Es dauert, bis man sich „eingearbeitet“ hat und die Verwandtschaftsverhältnisse wie die Verhältnisse, die Kinder und Enkel richtig zuordnen kann. Die Familiengeschichte entwickelt sich langsam, die Vergangenheit wird in Fragmenten wieder vorgeholt, alles kommt wieder hoch: Verlust, Erinnerung, lang Verschwiegenes, die schwierigen Beziehungen innerhalb einer Familie, Höhen und Tiefen, nicht nur in Margarets Familie, auch die Beziehung zwischen Alice und ihrer Mutter wird hier aufgearbeitet. Erzählt wird in verschiedenen Zeitebenen, in Rückblenden und Erinnerungen, personenbezogen und immer mit „die Version der anderen“ kurz vorweg, dann „ihre Version“. Margaret erzählt oft fast widerwillig, aber immer emotional beteiligt. Als es um ihre Ehe, die Liebe zwischen Cosmo und ihr geht, sind die Gefühle fast greifbar. Dennoch ist die Sprache in diesem Roman unaufgeregt, empathisch, tiefgründig, nachvollziehbar. Das Ende hält dann eine Wendung parat, die wirklich überrascht.
Ein Roman, der mich nicht von der ersten Seite an mitgenommen hat, der aber nach und nach interessanter wurde.
Emiliy Henry: Great Big Beautiful Life
Knaur, April 2025
464 Seiten, Taschenbuch, 12 Euro 99
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.