Das Leben ist scheiße! Entschuldigung, aber das musste jetzt einmal raus, es ist einfach beschissen. Warum, fragen Sie, warum?
Nun, nehmen sie einmal mich – Mitte Zwanzig, habe gerade mein Hobby zum Beruf gemacht, und repariere PC-Hardware in Moskau – so langsam spricht sich rum, dass man bei mir gute Leistung für ein angemessenes Entgelt bekommt. Die Zukunft sieht rosig aus – ein Hyundai steht vor der Tür, meine kranke Mutter kann ich auch unterstützen, da kommt die Diagnose – Gehirntumor, inoperabel, die Ärzte geben mir noch einen Monat. Sagte ich schon, dass das Leben wirklich scheiße ist?
Chronos bietet mir für schlappe 70.000 $ an, meinen toten Körper einzufrieren – keine Option, da ich keine 70 Riesen habe und tot bin ich da allemal. Doch dann zwitschert mir ein Vögelchen, dass immer mehr Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, sich in ein Virtual Reality Game einloggen – permanent, und im Spiel dann lebendig bleiben, auch wenn der Körper stirbt. Auch eine Art und Weise, die Unsterblichkeit abseits der haltlosen Versprechend er Religionen zu finden.
Nachdem mir kein anderer Ausweg bleibt, logge ich mich in AfterWorld ein und beginne meinen Charakter zu entwickeln. Als dunkler Hochelf und Hexenmeister beginne ich meinen Weg – zunächst gilt es Erfahrungen zu sammeln, Questen anzunehmen und Beute zu machen – schließlich kostet alles auch in der Spielwelt seine Münzen. Nach und nach beginne ich den Aufstieg zu Fähigkeiten und Macht – wobei ein wenig Glück auch dabei ist, finde ich doch Unterstützung, Verbündete und Freunde – nur leider auch gnadenlose Gegner.
Was ist das für ein Buch, was für eine neue Untergattung der phantastischen Literatur? LitRPG so nennen sich die Bücher, in der der Leser zusammen mit seinem Erzähler aus der Jetztzeit oder der Zukunft in ein Fantasy-Game eintaucht um dort Abenteuer satt zu bestehen.
Noch ist dieses Sub-Genre recht neu, die Majorität der Bücher, die hier veröffentlicht werden kommt aus Russland. Als Nicht-Gamer hatte ich zu Beginn ein wenig meine Probleme, mich zurechtzufinden. Sicherlich, die Ausgangslage des mit der medizinischen Hiobsbotschaft konfrontierten Erzählers war klar, auch die archaische Fantasy-Umgebung, in die er sich versetzen lässt ist von deren Anlage und Ausgestaltung her bekannt.
Dann aber ging es los mit dem für mich Unbekannten. Zunächst musste der Avatar ausgewählt und konfiguriert werden. Dann kamen die Questen, die dem Abenteurer nach und nach mit Hilfsmitteln, aber auch klingender Münze ausstatteten. Hier ging es dann mit viel Tempo hinein ins Abenteuer. Dass die auftretenden Figuren vorliegend stereotyp angelegt waren, dass wir keine sonderliche Tiefe weder was das Setting noch was die Charakterentwicklung anbelangt erwarten dürfen ist klar, steht im Vordergrund doch das packende Abenteuer.
Rätsel und Geheimnisse, Duelle und fiese Gegner warten ebenso auf uns, wie eine im Spiel selbst angelegte Parallelgesellschaft, in der alte Seilschaften und die Begüterten ihre Vorteile wahren wollen. So bekommt der Plot gegen Ende sogar und überraschend etwas Gesellschaftskritik verpasst.
Die Darstellung der Welt entspricht dem, was der Fantasy-Freund gewohnt ist. Es gibt die bekannten Völker, kleine Städte, Befestigungen und Burgen, Dungeons und Katakomben. Die Bücher richten sich ganz eindeutig, neben der großen Gamer-Szene, die den Weg zum bedruckten Medium finden soll, an Gelegenheitsleser. Hoher Wiedererkennungswert der Handlungsabläufe ist hierbei ebenso unabdingbar wie der letztliche Triumph des Helden, der dann aber doch in einem Cliffhanger endet. Das Gebotene liest sich, allerdings gewöhnungsbedürftig immer wieder unterbrochen von der Verteilung der Bonuspunkte unseres Protagonisten, ohne großen Tiefgang flüssig und spannend, so dass das Ziel, unerfahrene Leser ans gedruckte Wort heranzuführen erreicht wird.
Dmitry Rus: Play to Live 01: Gefangen im Perma-Effekt.
Heyne, März 2018.
448 Seiten, Taschenbuch, 12,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.