Der Privatdetektiv Patrick Kenzie versucht schon seit einer Weile, bei seinem Kunden, einer großen Versicherungsgesellschaft, eine Festanstellung zu bekommen. Viele Ermittlungen hat er für seinen Auftraggeber erledigt, und jedes Mal fällt er mit seinen offenen Meinungsäußerungen unangenehm auf.
Wer ehrlich ist, hat oft das Nachsehen. So war es auch vor zwölf Jahren, als die vierjährige Amanda entführt worden ist. Als Patrick sie gefunden hatte, musste er eine Entscheidung treffen: Soll er Amanda zu einer Mutter bringen, die nachweislich schlecht für sie sorgen würde, oder soll er das Mädchen bei seinen Entführern lassen, die mit Liebe und Verstand für Amanda sorgen würden?
Zwölf lange Jahre glaubt er, richtig im Sinne des Gesetzes gehandelt zu haben, ob es moralisch richtig war, will er nicht bewerten, bis Amanda ein zweites Mal verschwindet. Kurz darauf wird Patrick überfallen und dies nur, weil Amandas Großmutter ihn um Hilfe bittet. Die Angreifer verlangen von ihm, dieses Mal Amanda nicht zu suchen. Doch Patrick sieht die Sache anders. Mal wieder.
Den meisten dürfte der amerikanische Schriftsteller Dennis Lehane bekannt sein. Er schreibt glaubwürdig und packend über Verbrechen, die sich aus der Logik der Milieus ergeben. Aus seinen erfolgreichsten Büchern wurden ebenso erfolgreiche Kinofilme. Mit seinem Ermittlungsduo Patrick Kenzie und Angela Gennaro veröffentlichte Dennis Lehane bereits 1994 ihren ersten Fall: Streng vertraulich/Ein letzter Drink. Ihr sechster Fall Moonlight Mile aus dem Jahr 2010 wurde in diesem Jahr wieder aufgelegt. Trotzdem wirkt er nach wie vor aktuell und zeitlos. Denn das leicht verdiente Geld verändert so machen Charakter und seine Moral. Und erneut steht Patrick jemandem im Weg, der aus der Logik der Dramaturgie heraus ziemlich unangenehm oder lebensgefährlich wird.
Ein Gespräch zwischen dem in den Medien bekannten Brian, dem Vater eines weiteren verschwundenen Mädchens, und Patrick bringt darüber hinaus die bekannten „Herausforderungen“ in der Erziehung von Teenagern auf den Punkt.
„… Mir fällt nur auf, dass die Menschen manchmal ihre Lebensentscheidungen mit ihren moralischen Vorstellungen verwechseln. ….“, sagt der Ich-Erzähler Patrick. Woraufhin Brian antwortet: „Nach ein paar Jahren …. dachte ich, ich versuche es mal mit der guten alten Logik. Damals hatten die Kinder keine Essstörungen oder ADHS, sie gaben keine Widerworte und hörten sich keine Musik an, die Sex verherrlichte.“ (S. 162)
Mit der Konsequenz dieser guten alten Logik zwingt Brian seine minderjährige Tochter zu der Entscheidung, entweder schnell abzunehmen oder auszuziehen. Beiläufig spricht der Autor damit die Ursache von Problemen an, die es nicht geben müsste, wäre da nicht die Selbstherrlichkeit im grellen Licht der Öffentlichkeit.
Spannende Sozialkritik hat mindestens einen Namen, und ein herausragender ist Dennis Lehane.
Dennis Lehane: Moonlight Mile: Ein Fall für Kenzie & Gennaro
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Peter Torberg
Diogenes, Mai 2025
384 Seiten, Taschenbuch, 20,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.