Dan Marshall: Meine scheisskranke Familie: Eine verdammt wahre Geschichte

danDan Marshall hatte es in seinem bisherigen Leben nicht einfach. Als er und seine vier Geschwister noch Kinder waren, erkrankt die Mutter an Krebs. Dennoch kann er nicht behaupten, dass er eine miese Kindheit gehabt hat. Es mangelte nie an etwas und im mormonisch geprägten Utah hielt man mit den nicht-mormonischen Familien zusammen und schimpfte auf die jeweils anderen. Er hatte eben eine Mutter, der immer mal wieder die Haare ausfielen, die aber stark blieb. Dazu hatte er einen Vater, den er vergötterte, der vital war und im Leben stand. Doch jetzt schlägt das Unglück gleich doppelt zu. Der Krebs kommt bei seiner Mutter zurück und sein Vater erkrankt an ALS. ALS? Was ist das überhaupt? Kann ja nichts so tragisch sein, denkt Dan sich, und nimmt die Erkrankung auf die leichte Schulter.

Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, ist eine nicht heilbare Krankheit des Nervensystems. Sie führt unter anderem zu Lähmungen und lässt die Patienten immer mehr die Kontrolle über ihren Körper verlieren. Auch atmen können sie irgendwann nicht mehr und müssen dauerhaft an ein Beatmungsgerät angeschlossen sein. Im Kopf allerdings bleiben sie völlig normal und bekommen alles mit. So auch Bob, Dans Vater. Bisher lief er einen Marathon nach dem nächsten, war unheimlich sportlich und für die Familie und ihr tolles Haus engagiert. Nur zwei der fünf Kinder leben zurzeit noch im Haushalt der Eltern, die Teenager Chelsea und Jessica, die zudem noch eine Adoptivtochter ist. Dan, sein schwuler Bruder Greg und seine Schwester Tiffany leben bereits ihr eigenes Leben. Als der Vater pflegebedürftig wird, müssen Greg und Dan ihr Leben aufgeben und zurück nach Hause ziehen, um die Pflege zu übernehmen – dreißig Jahre bevor sie dachten, es könne soweit sein!

„Meine scheisskranke Familie“ ist das mit Abstand schrägste Buch über Todkranke, das ich jemals gelesen habe. Noch nie, selbst bei den allerbesten dieser Geschichten nicht, habe ich manchmal lauthals lachen müssen oder mir selbst bei traurigen Themen ein Lächeln nicht verkneifen können. Dan Marshall findet genau den richtigen Ton und scheint auch in genau der richtigen Familie mit tollem Humor zu leben, um dies möglich zu machen. Seine Berichterstattung ist schonungslos, aber auch hoffnungsvoll. Selbst im Angesicht dieser schlimmen Diagnose geben die Marshalls nicht auf und zeigen der fiesen Krankheit den Mittelfinger. Besagter Finger findet übrigens nicht nur hier Anwendung. „Meine scheisskranke Familie“ ist, wie der Titel vielleicht schon verrät, von Furzwitzen, Flüchen und Todesdrohungen der besonderen Art geprägt. Die Figurenzusammenstellung ist dabei einzigartig!

Zuerst ist da natürlich Dan, der alle Erlebnisse erzählt. Er stand bisher mitten im Leben, hatte einen coolen Job in San Francisco und eine süße Freundin, die er von Herzen liebt. Ebenso ergeht es seinem Bruder Greg, der sich als erster für die Pflege aufopfert. Bei Tiffany, der Ältesten, verhält es sich etwas anders. Sie lebte bisher schon in der Nähe der Familie und betreute die kranke Mutter und die beiden Teenager. Als auch noch ALS zuschlägt, reagiert sie mit Distanz und lässt die Jungs machen. Chelsea, die bei Ausbruch der Krankheit etwa 16 ist, liebt Tanzen und die Schule und kann gar nicht richtig fassen, was da eigentlich passiert. Die 17-jährige Jessica findet ebenfalls ihren eigenen Weg. Als die Eltern wegfallen, betrinkt sie sich nur noch und schwänzt die Schule. Zu den Krankheiten kommt für Dan und Greg also auch noch eine Elternfunktion für die beiden Jüngsten.
Im Mittelpunkt stehen Debi und Bob, ihre Eltern. Debi ist meistens nur eingeschränkt verfügbar, da sie wegen der Chemos starke Medikamente nehmen muss, die auch auf ihre Denkfähigkeit Einfluss haben. Erwähnenswert hier ist neben all den liebenswerten Nebencharakteren sicher noch Stana, die ausländische Haushaltshilfe, die an den vielen Katzen, die plötzlich im Haus wohnen, bald verzweifelt und immer einen Spruch auf den Lippen hat.

Zusammengefasst heißt das Folgendes: Das wohl witzigste Krankenbuch des Jahrhunderts. Wer den ein oder anderen Fluch verträgt und Dinge auch mal locker nehmen kann, obwohl sie im wahrsten Sinne des Wortes todernst sind, MUSS das hier lesen! Es ist grandios und berührend zugleich!

Dan Marshall: Meine scheisskranke Familie: Eine verdammt wahre Geschichte.
Atrium Zürich, Februar 2016.
448 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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