Timbuktu war ein geheimnisvoller Ort, der vor etwa 250 Jahren die Fantasie der Westeuropäer beflügelte. Die Gerüchte vom unermesslichen Reichtum in einem unerreichbaren und unerforschten Land in Afrika forderte so manchen Abenteurer heraus. In dieser Zeit waren Amerika und Asien bereits bereist und deren Entdecker berühmt. Es blieb nur noch Afrika, das für die Kartographen aus vielen weißen Flächen bestand. Vor allen Dingen in der Mitte des Kontinents, wenn man aus dem Norden kommend noch die Durchquerung der Sahara vor sich hatte, um den Niger zu erreichen. Ein Fluss, von dem kein Europäer wusste, wo sein Ursprung oder sein Verlauf war und wo er schließlich das Meer erreichte. Irgendwo an diesem Fluss sollte Timbuktu liegen, eine Stadt voller Schätze.
Nach der Gründung der African Association endeten die Annäherungsversuche der ersten Forschungsreisenden tödlich. In einem Brief berichtete Major Laing seinem Schwiegervater von einem überstandenen Überfall und den erlittenen Verletzungen:
„… Um oben zu beginnen: Ich habe drei Säbelwunden am Scheitel und drei an der linken Schläfe, allesamt Frakturen, bei denen ich viel Knochenmasse verloren habe. Ein Säbelhieb auf der linken Wange hat meinen Kiefer zerschmettert und mein Ohr zerschnitten … einen weiteren erhielt ich auf der rechten Schläfe. … eine klaffende Wunde im Nacken, … eine Musketenkugel in der Hüfte, fünf Säbelwunden am rechten Arm und der rechten Hand, … drei Wunden am linken Arm, der gebrochen ist, eine leichte Verletzung am rechten Bein, … zwei am linken …“ (S. 16, 17) Mit der linken Hand konnte er noch schreiben, obwohl seine Finger durch einen Säbelhieb beeinträchtigt waren, während die rechte Hand, zu drei Viertel quer durchtrennt, unbrauchbar geworden war. Zwei Monate später schrieb Laing von einer Verschlechterung seiner Situation, weil im Lager eine entsetzliche Seuche ausgebrochen sei, die die Hälfte der Bewohner nicht überlebt hätten. Nach weiteren sechs Wochen erreichte Laing am 13. August 1826 Timbuktu.
Es vergingen viele Jahrzehnte, bis so nach und nach weitere Geheimnisse über Timbuktu gelüftet wurden. In dieser Zeit wirkte die Stadt aus der Distanz spektakulär und aus der Nähe betrachtet heruntergekommen.
Der Journalist und Autor Charlie English war am 28. Januar 2013 Auslandsredakteur für den Guardian, als der Bürgermeister von Timbuktu der Öffentlichkeit von der Verbrennung historischer Manuskripte berichtete. Im Jahr zuvor hatten die Dschihadisten bereits die jahrhundertalten Mausoleen zerstört.
„… Bruce Chatwin stellte einmal fest, dass es zwei Timbuktus gebe. Das eine ist der reale Ort – eine träge Karawanenstadt … Das andere Timbuktu ist eine sagenhafte Stadt aus dem Reich der Legenden … Ich wollte beiden … gerecht werden, in dem ich zwei … Erzählstränge entwarf“(S. 21), schreibt der Autor in seinem Vorwort.
Der historische Erzählstrang beginnt mit der Gründung der African Association, einer britischen Gesellschaft, die die weißen Flecke auf der afrikanischen Landkarte mithilfe von wagemutigen „geographischen Missionaren“ ausfüllen wollte. Ihr Ziel war, den Verlauf des Nigers, seine Bewohner und Reichtümer zu erforschen. Doch viele, später berühmte Forschungsreisende starben in Afrika. Die wenigen Heimkehrer schenkten der Presse abenteuerliche Nachrichten und dem Leser ihre Reiseberichte, die die Entdeckerlust der Briten und Franzosen weiter vorantrieb. Das Vorurteil, in Afrika lebe nur eine unzivilisierte, ungebildete Gesellschaft, wurde durch die Übersetzung alter Manuskripte aufgehoben, die eine Hochkultur der Gelehrsamkeit in Timbuktu belegen.
Die Geschichte des heutigen Timbuktus ist teilweise durch die Presse bekannt. Weniger bekannt sind die Bemühungen einiger weniger, die unter schwierigsten Bedingungen jahrhundertalte Manuskripte und eine alte Kultur hüten und diese der Wissenschaft zugänglich machen.
Zusammenfassend erlebt man die Lektüre, übersetzt von Henning Dedekind und Heike Schlatterer, auf unterhaltsame Weise informativ, detailreich, fesselnd durch die eingebetteten Reiseberichte oder den schwierigen Überlebenskampf sehr unterschiedlicher Menschen. Darüber hinaus zeigt Charlie Englishs aufwendige Recherche, wie Geschichtsschreibung funktioniert und erlaubt deshalb Rückschlüsse auf jede angeblich verbriefte Wahrheit über historische Ereignisse.
„… Die berühmtesten Bibliotheken sind nicht immer die größten. … Es gibt nicht den Bericht über die Auslagerung, … Jeder hat seine eigene Version. … All diese Darstellungen sind verschieden, aber sie sind alle wahr. Wenn sich alle auf eine Geschichte geeinigt hätten, würde diese sicher nicht stimmen.“ (S. 369)
Charlie English: Die Bücherschmuggler von Timbuktu. Von der Suche nach der sagenumwobenen Stadt und der Rettung ihres Schatzes.
Atlantik, Januar 2020.
400 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.