Brooke Robinson: Die Dolmetscherin

Ehrlich? Ich habe mehrfach überlegt, das Buch einfach aus der Hand zu legen.

Die vielversprechenden Ankündigungen wie auch der Klappentext hatten mich neugierig gemacht auf eine spannende Story. Gut 160 Seiten lang wartet man allerdings auf den Moment, in dem Revelle Lee diesen entscheidenden Übersetzungsfehler macht, der eben einen Prozessausgang wenden würde, beziehungsweise, dass sich Spannung einstellt. Den Fehler macht sie – sie übersetzt in einer Zeugenvernehmung bewusst falsch. Ganz bewusst. Und schickt damit quasi einen Unschuldigen ins Gefängnis. Das lässt sie dann aber nicht mehr los.

Der Fall, um den es bei der Vernehmung ging, berührt sie auch persönlich. Sie kannte das Opfer, wenn auch eher flüchtig. Aber immerhin hatte die Ermordete als Babysitter für Revelle und ihren Adoptivsohn gearbeitet. Revelle fühlt sich irgendwie in der Pflicht, den Mord an Sandra mitaufzuklären. Als sie – durch einen anderen Fall – auf die Möglichkeit aufmerksam wird, dass die Spuren und Indizien, die zur Verhaftung des vermeintlichen Mörders geführt haben, eventuell gar nicht unbedingt zwingend so zustande gekommen sein müssen, wie die Polizei vermutet, setzt sie alles daran, einer anderen Spur nachzugehen, den wahren Mörder zu entlarven. So weit, so gut.

Geschrieben ist dieses Buch überwiegend aus der Sicht der Protagonistin, oft sehr detailliert, langatmig, verwirrend, wenn es um Einschübe aus ihrer Vergangenheit geht. Ihre Kindheit mit einer Mutter, die ständig aus beruflichen Gründen umzieht, nie wirklich sesshaft wird, Revelle eigentlich nie die Chance hat, echte Freundschaften zu schließen … Aber: und das nutzt sie, sie lernt die Welt kennen und lernt jeweils die Sprache des Landes, in dem sie grade für ein, zwei Jahre lebt. So wird sie später auch zur Dolmetscherin. Man ahnt zwar, dass auch die Vergangenheit mit einer Freundin, von der Revelle seit acht Jahren nichts gehört hat, wohl eine wesentliche Rolle spielen soll, aber es wird bis kurz vor Ende des Buches nicht greifbar.

Sehr viel Zeit wird auf die Umstände der Adoption von Elliot verwandt, sehr detailliert wird jeder Tag mit ihm, jedes Problem in der Schule oder anderswo beschrieben und dennoch bleibt der Junge blass. Was er mit der Aufarbeitung eines Fehlers aus Revelles Dolmetscher-Vergangenheit zu tun hat, wird sehr lange nicht deutlich. Revelle selbst wirkt auf mich keineswegs wie eine selbstbewusste junge Frau, die zum einen elf Sprachen beherrscht und souverän dolmetscht, sich als Alleinstehende um die Adoption eines offenbar schwierigen 6-jährigen bemüht, der schon mehr als einmal die Pflegefamilie gewechselt hat, sie wirkt eher fahrig, konfus, permanent gestresst .

Sie verstrickt sich in einen Fehler nach dem anderen. Mit „Thriller“, wie „Die Dolmetscherin“ angekündigt wurde, hat das Ganze aus meiner Sicht wenig zu tun. Der eine große Fehler, den Revelle offenbar schon vor längerer Zeit gemacht hat, wird ständig angedeutet, holt sie offensichtlich wieder ein. Sie bekommt beunruhigende Nachrichten, wird ganz offensichtlich beobachtet und schließlich auch erpresst, aber der Spannung hilft das auch nicht mehr auf die Sprünge. Schade eigentlich, denn der Ansatz der Story ist echt gut, eben auch vielversprechend und neugierig machend. Mein Fazit ist allerdings eher enttäuschend.

Brooke Robinson: Die Dolmetscherin: Ihre Übersetzung entscheidet über das Urteil
Aus dem Englischen übersetzt von Alice Jakubeit
Knaur, November 2023
368 Seiten, Paperback, 16,99 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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