Benjamin Cors: Krähentage

Meine Güte, was für ein Ritt. Dieser Thriller lässt wenig aus, eine sehr geheimnisvolle Mordserie, Ermittler – zu einem neuen Team zusammengewürfelt und mit schwerem Gepäck – und am Ende jede Menge unerwartete Aufklärung.

Die Gruppe 4 wurde neu gebildet, extra als Sondereinheit zur Ermittlung für schwere Seriendelikte. Jakob Krogh leitet sie gemeinsam mit der frisch aus Wien in Deutschland eingetroffenen Mila Weiss. Auch Jakob kommt nicht aus der Stadt, in der er ermittelt, er wohnt mit seiner Familie am See und pendelt an den Wochenenden – so es denn möglich ist. Die erste Serie lässt nicht lange auf sich warten, drei Frauen wurden in ihren Wohnungen überfallen und mindestens schwer verletzt. Natürlich will die Presse Ergebnisse, man steht also unter Druck.

Der Leser erfährt sehr schnell etwas über den Täter, was er für sehr viel hält – ist es aber nicht. Überhaupt arbeitet Benjamin Cors seine Protagonisten sehr gut aus, man glaubt als Leser, sie zu kennen und trotzdem sind sie immer wieder für Überraschungen gut.

Beim letzten Opfer ist die alte Nachbarin auffällig. Sie ist tot, in ihrer Wohnung finden die Ermittler die ersten Krähen – ausgehungert und jedes Futter suchend, das halt da ist. Der Todeszeitpunkt lässt sich auch dadurch sehr genau und eindeutig bestimmen. Nur wurde die alte Dame in den Tagen danach noch gesehen, im Haus, beim Einkaufen, ja auch gesprochen hatten Nachbarn mit ihr. Hier können wir zum ersten Mal einen Teil des Motivs des Täters erahnen, denn er war es, der das Leben der Frau nach ihrer Ermordung einige Tage fortsetzte. Erst nach und nach erfährt der Leser, warum er das tut – nicht nur einmal und das hat für mich einen der Reize des Romans ausgemacht: Eben diese ständige unterschwellige Frage, warum ein Mörder das Leben seines Opfers quasi selbst verlängert, indem er in die Rolle schlüpft. Versucht er, den Todeszeitpunkt zu verschleiern, oder hat er andere Gründe. Und was haben diese ganzen Krähen da zu suchen? Hofft er darauf, dass sie die Opfer so zerlegen, dass nicht mehr feststellbar ist, wie sie gestorben sind?

Ein wenig ins Hintertreffen geraten ist meiner Meinung nach die ursprüngliche Tatserie, nämlich der Überfall auf die jungen Frauen, das wird dann recht schnell abgehandelt. Aber hey – die geheimnisvolle Mordserie reicht auch eigentlich für einen Roman, es kommen ja noch die Ermittler und ihre Probleme dazu. Die ganze Gruppe 4 besteht aus schillernden Persönlichkeiten, hier hat der Autor was aufgebaut, was hoffentlich noch für viele Romane reicht.

Was hat mich gestört? Der Autor baut immer wieder an allen möglichen Ecken Spannung durch Geheimnisse auf, es gelingt ihm aber nicht, die Andeutungen so zu streuen, dass sie neugierig machen, aber nicht nerven. Jakobs Geschichte ist zwar an sich gut gedacht, aber sie kommt so unerwartet und ohne jede Andeutung daher, dass es schon wieder lächerlich war. Milas Geschichte dagegen wird zwar ununterbrochen angedeutet, aber nie erzählt. Die Krähen haben zwar eine Rolle, aber sie taten mir schon leid.

Fazit: Spannender Thriller mit einem zwar nicht ganz neuen, aber ungewöhnlich ausgearbeiteten Motiv und starken Ermittlern. Aber: Solche Ermittlergruppen gibt es in der Thrillerszene inzwischen zuhauf, wenn die weiteren Teile sich da noch hervorheben sollen, muss da mehr kommen.

Benjamin Cors: Krähentage.
dtv, Mai 2024.
400 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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