Anne Stern: Fräulein Gold. Schatten und Licht

Am 24. Mai 1922 wird nachts in Berlin eine alternde Prostituierte über die Brüstung einer Brücke gestoßen. Sie ertrinkt unbemerkt im Fluss. Jeder aus dem Milieu, der die fixe Rita kannte, denkt sofort an Mord. Doch die Polizei will lieber an Selbstmord glauben. Täglich stößt die Hebamme Hulda Gold auf große Not. Sie kann einfach nicht wegsehen und muss aus einem inneren Bedürfnis heraus helfen. Als sie von einer Patientin erfährt, die angeblich ertrunkene Frau sei ihre Nachbarin und Freundin gewesen, wird Hulda neugierig. Und je mehr sie den Unstimmigkeiten nachgeht, um so mehr schreckt sie die falschen Leute auf. Auch ihre Begegnung mit dem ermittelnden Kommissar hat Folgen.

Die Berlinerin Anne Stern hat mit ihrem Roman Fräulein Gold Schatten und Licht den ersten Band einer Reihe vorgestellt, der den Leser in die Nachkriegszeit führt, in der die Folgen des Ersten Weltkriegs zum Alltag gehören. Statt für die Einhaltung von Menschenrechten zu sorgen, bekämpfen sich die politischen Vertreter bis aufs Blut. In diesem Machtvakuum übernimmt der Skrupellose die Regie. Die Metropole Berlin in der Zeit der Goldenen Zwanziger hat sich zu einer Arena für unterschiedliche Interessen entwickelt. Vor diesem politischen und gesellschaftlichen Hintergrund dürfte die Autorin auf reichlich Stoff stoßen, die eine alleinstehende, engagierte junge Frau in spannende Abenteuer und Schwierigkeiten verwickeln kann.

In der gesellschaftlichen Hierarchie steht Hulda weit unten: Ein spätes Mädchen mit unklarer Familiengeschichte. Kein Mann mit Standesbewusstsein würde Hulda heiraten wollen. Gefragt sind dagegen junge Frauen aus geordneten Verhältnissen. Hulda sieht die Umstände der schwangeren Ehefrauen und die der Unverheirateten. Es sind Lebensbedingungen, die der selbstbewussten Hebamme nur missfallen können.

Mit der Thematik Selbstbestimmung der Frau hat die Autorin schnell die Leserinnen auf ihrer Seite und belohnt sie mit einer kurzweiligen Lektüre, in der neben dem täglichen Verbrechen auch Raum für Liebeskummer und Verliebtheit geschaffen wurde. Ein rundum gelungener Serienauftakt, atmosphärisch dicht geschrieben, zu dem weitere Bände geplant sind.

Anne Stern: Fräulein Gold. Schatten und Licht.
Rowohlt, Juni 2020.
400 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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