Die brasilianische Journalistin und Drehbuchautorin Angélica Lopes lebt und arbeitet in Rio de Janeiro. Ihr Roman „Die Frauen der Familie Flores“ erschien am 19. August 2025 bei hanserblau im Carl Hanser Verlag. Michael Kegler übersetzte ihn aus dem Portugiesischen ins Deutsche.
Ein Fluch, ein Handwerk und eine Geheimschrift
Angélica Lopes siedelt die Handlung und die Akteure von „Die Frauen der Familie Flores“ im ländlichen Nordosten Brasiliens im Bundesstaat Pernambuco im fiktiven Städtchen Bom Retiro (was so viel bedeutet wie „Gute Zuflucht“) in den Jahren 1918 und 1919, sowie in der Millionenstadt Rio de Janeiro im Jahre 2010 an.
Über der Familie Flores lastet ein Fluch, der die Männer in der Familie früh sterben lässt. Die Frauen sind deshalb darauf angewiesen, selber für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Sie widmen sich der Spitzenstickerei und gelangen zu großem handwerklichen Geschick. Die Arbeit sichert ihnen ihr Auskommen. Sie bilden eine Gruppe von Mädchen und Frauen verschiedenen Alters, die sich regelmäßig treffen und ihre Erzeugnisse an die „Damen der feinen Gesellschaft“ verkaufen. Inês Flores und Eugênia Damásio Lima sind Freundinnen. Auch sie beherrschen die Kunst der Spitzenstickerei. Als Eugênia siebzehn Jahre alt ist, soll sie den zwanzig Jahre älteren Coronel Aristeu Medeiros Galvāo heiraten. Der Coronel ist verwitwet und hat zwei Kinder. Er gehört zu den großen Landbesitzern in der Gegend. Eugênia will nicht heiraten, wird aber von ihren Eltern gezwungen. Sie entwickelt einen Code, mit dem sie die Spitze bestickt, um ihrer Freundin Inês geheime Botschaften zu schicken.
Derweil kämpft die junge Alice in Rio de Janeiro Jahrzehnte später gegen die tägliche Gewalt gegen Frauen und für ihre Rechte. Da taucht ihre Tante Helena auf und übergibt ihr einen uralten Schleier aus Spitzenstoff, der Alices Urgroßmutter gehört hat.
Eugênia und der Coronel heiraten. Auf ihren Schleier hat sie einen Hilferuf an ihre Freundin Inês gestickt. Ihre Ehe mit dem Coronel entpuppt sich als Gefängnis, er tut ihr immer wieder Gewalt an. Eugênia will fliehen. Auf ihren Stickereien wird ein Plan für ihre Flucht geschmiedet, der am Ende misslingt. Eugênia und die Familie Flores zahlen einen hohen Preis.
Im Jahre 2010 macht Alice sich, nachdem sie durch die Botschaft auf dem geerbten Schleier neugierig geworden ist, auf zu ihren Wurzeln, sie recherchiert und vollendet die Geschichte der Familie Flores auf dem Spitzenschleier.
Frauenrechte versus Männerherrschaft und Femizide
„Die Frauen der Familie Flores“ ist Angélica Lopes’ erster Roman für erwachsene Leserinnen und Leser. Mich erinnert das Buch jedoch eher an eine Geschichte für Jugendliche. Und das liegt zum einen an Lopes’ Sprache, Erzählton und den jungen Protagonistinnen, zum anderen aber auch daran, dass die realen historischen und gegenwärtigen Themen Frauenrechte, Patriarchat und Femizide in eine Geschichte um einen Fluch und eine Geheimschrift gebettet sind, die eher märchenhaft fiktional anmuten. Vielleicht lehnt sich Angélica Lopes aber auch an den „magischen Realismus“ an, für den südamerikanische Schriftstellerinnen und Schriftsteller bekannt sind.
Jedenfalls fasst sie mit der Geschichte der Frauen der Familie Flores auch aktuell heiße Eisen an: weltweit wird alle zehn Minuten eine Frau oder ein Mädchen getötet, weil sie eine Frau ist. 2024 gab es laut Statistik der UN 85.000 Femizide auf der Welt. Und das nicht nur in Staaten mit unterentwickelten Frauenrechten, sondern auch in westlichen Industrienationen, wie z.B. Deutschland, wo beinahe jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem (Ex-) Partner getötet wird. Was für eine Schande.
Angélica Lopes’ „Die Frauen der Familie Flores“ weist aber auch auf eine große Stärke hin, auf die Solidarität und Loyalität der Frauen untereinander. Da sind die fiktionalen Stickerinnen aus Bom Retiro und der reale Verein „Ave Libertas“ aus Recife, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen. Und nicht zuletzt durch ihre Hauptfigur Alice, die durch ihre Familiengeschichte gestärkt, ihren eigenen selbstbestimmten Weg gehen kann.
So ist „Die Frauen der Familie Flores“ von Angélica Lopes ein lesenswerter Roman, über dessen kleine erzählerische Schwächen man hinwegsehen kann zugunsten seiner hoffnungsvollen Botschaft für Frauen: „Sei gegrüßt, Freiheit“.
Angélica Lopes: Die Frauen der Familie Flores hanserblau, Juli 2025 288 Seiten, gebundene Ausgabe, 22,00 EuroDiese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.