Im Oktober 2013 hat die kanadische Autorin Alice Munro den Literaturnobelpreis erhalten, nun liegt ihr neuester Erzählband unter dem Titel „Liebes Leben“ auch auf Deutsch vor. Das Buch vereint 14 feinfühlige und psychologisch gut beobachtete Erzählungen, von denen die letzten vier autobiografischer Natur sind.
Obwohl der Titel anderes vermuten lässt, geht es in diesen Geschichten nicht nur um die Liebe – aber auch. Und oft sind es nur Nuancen, die über Freud oder Leid im komplizierten Geflecht der menschlichen Beziehungen entscheiden. In der Auftaktgeschichte „Japan erreichen“ flieht eine gut behütete Ehefrau mitsamt Kind wie eine Madame Bovary vor ihrem langweiligen Ehemann, um sich im Zug auf schnellen Sex einzulassen und einen unerreichbaren Fremden zu finden, der sie auf einer Party einmal fast geküsst hätte. Aber eben nur fast. In „Dolly“ eskaliert das Auftauchen einer Jugendfreundin des Mannes bei einem älteren Ehepaar zum Eifersuchtsdrama, und in „Kies“ ertrinkt ein Kind, was der Schwester lebenslange Schuldgefühle beschert – um nur drei Beispiele zu nennen. Immer wirken Munros Geschichten so, als schreibe da jemand, der das Leben in all seinen Facetten und Zwischentönen kennt.
Über die letzten vier Geschichten, die Episoden aus der Kindheit der 1931 geborenen Autorin erzählen, schreibt Alice Munro selbst: „Ich glaube, sie sind die ersten und letzten – und die persönlichsten – Dinge, die ich über mein Leben zu sagen habe.“ Das klingt nach einer Art Abschied vom Schreiben und von ihren Lesern, den Munro in der Tat angekündigt hat. Bleibt zu hoffen, dass sie sich eines Besseren besinnt.
Alice Munro: Liebes Leben.
S. Fischer, Dezember 2013.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 21,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.