Fast so gut wie Agatha Christie – Winterlicher Krimi auf Schienen
Ein Zug fährt nach Norden, von London gen Schottland. An Bord achtzehn Passagiere und ein Mörder oder eine Mörderin.
Was für ein spannendes Setting. Dieser Zug verlässt London am Tag vor Heiligabend und natürlich möchten alle Passagiere ihre Ziele rechtzeitig erreichen. Doch ein Schneesturm verhindert das, mitten in der Einöde, zwischen Schneebergen und bei Eiseskälte entgleist der Zug, die Passagiere sitzen fest. Da geschieht ein Mord.
An Bord ist auch die frisch pensionierte Ex-Kommissarin Roz, auf dem Weg zu ihrer Tochter, die in den Wehen liegt, ihr erstes Kind erwartet. Die Geburt, so deutet sich an, wird schwierig, lebensbedrohend für Mutter und Kind. Ganz klar, dass Roz es besonders eilig hat, an ihr Ziel zu kommen.
Weitere Passagiere sind eine Influencerin und ihr Mann, ein Staatsanwalt, eine leicht dysfunktionale Familie, eine burschikose alte Dame mit Sohn und Katze, eine schweigsame Frau und ein blinder Passagier. Als das Mordopfer gefunden wird, ist schnell klar, dass der Täter oder die Täterin an Bord des Zuges sein muss. Nicht ganz freiwillig übernimmt Roz die Verantwortung und versucht, Ordnung in Chaos und Befragung zu bekommen, mit etwas Hilfe durch den Staatsanwalt Craig.
Natürlich ist zuerst der Ehemann der Toten verdächtig, war er doch für alle erkennbar gewalttätig gegenüber seiner Frau. Doch es kommen weitere Verdächtige in Frage, es geschehen weitere merkwürdige Dinge. Und Hilfe kommt nicht, die Schneeverwehungen sind zu hoch, das Wetter zu schlecht.
Dazu die Anspannung für Roz aufgrund der dramatischen Lage ihrer Tochter. So entsteht in diesem Roman eine fast greifbare Spannung, die Dramatik steigt spürbar von Seite zu Seite. Die Figuren sind zwar nicht überaus tiefgründig ausgearbeitet, aber doch ausreichend deutlich beschrieben, dass man sie fast vor sich sehen kann, dass jeder und jede in Verdacht gerät und alle auch für alles Motive haben könnten.
Der Schreibstil der Autorin ist präzise, schnörkellos, voller passender Beschreibungen und interessanter, plastischer Vergleiche: „Die erste Phase der Trauer war wie ein schlechter Dosenöffner, das wusste sie. Seine Metallzähne waren nicht scharf genug, um gleich beim ersten Mal das Blech zu durchbohren. Sie knabberten ein wenig am Deckel, ohne wirklich zum Inneren vorzudringen. Nach einer Weile fingen die Metallzähne wieder an. Einen schmerzhaften Millimeter nach dem anderen. Roz hatte noch nicht einmal damit angefangen, die Blechdose des Todes ihrer Mutter zu öffnen.“ (S. 177)
Besonders gelungen sind auch die von mir sonst eher nicht so bevorzugten Einschübe aus Sicht des Täter/der Täterin. Sie sind nämlich so geschickt formuliert, dass man genau das nie erkennen kann: Ist es ein Mann oder eine Frau? Absolut perfekt und dadurch besonders spannungssteigernd.
Ein absolut gelungener, hochspannender Kriminalroman, der sich gegenüber dem berühmten Vorbild nicht zu verstecken braucht. Klare Leseempfehlung.
Alexandra Benedict: Mord im Christmas Express
aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Tropen, September 2023
Taschenbuch, 332 Seiten, 17,00 €
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.