„Ich weiß noch, wie ich … sagte: „Wir erleben etwas, das in eklatantem Widerspruch zu allen Formen des Kapitalismus steht.“ (S. 113)
In den Augen des Wirtschaftswissenschaftlers, Politikers und Autoren Yanis Varoufakis hat der Technofeudalismus den Kapitalismus getötet. Unter Technofeudalismus versteht er unter anderem ein riesiges, digitales Finanzsystem, das systematisch Gebühren („Renten“) von Internetnutzern einfordert, ohne hierfür tatsächlich eine Gegenleistung zu erbringen.
Die Natur einer Rente erklärt der Autor wie folgt: „Eine Rente fließt aus dem privilegierten Zugang zu Dingen mit fixem Angebot wie fruchtbaren Boden oder Land, in dem fossile Brennstoffe lagern. Man kann nicht mehr von diesen Ressourcen produzieren …“ (S. 145) Im Gegensatz hierzu steht der Profit, der durch unternehmerisches Handeln entsteht und durch Wettbewerb gefährdet ist.
Inzwischen hat jeder begriffen, dass die Marktwirtschaft stagniert und viele Menschen ihre Arbeit verlieren, während gigantische Anhäufungen von Kapital nur noch einen Zweck erfüllen: Es soll mehr werden.
Das Zusammenspiel von Marktwirtschaft und Cloud-Kapital
Diese Zusammenhänge im Einzelnen stellt Yanis Varoufakis vor, indem er über die Metamorphosen des Kapitalismus berichtet und zeigt, wie Cloud-Kapital funktioniert. Die Folgen sind für viele grausam und für die Umwelt im höchsten Maße schädlich. Es geht schließlich stets um die rücksichtslose Erhöhung der Gewinnmargen.
Und während die Superreichen noch reicher geworden sind, erfreuen sich die Vermögensverwalter bei BlackRock, Vanguard und State Street an einer gigantischen Macht, die quasi das gesamte amerikanische Kapital inklusive der Börse lenkt und leitet, ohne dass sie hierfür demokratisch gewählt worden sind.
Auch in Deutschland hat sich die Finanzwirtschaft von der produzierenden Marktwirtschaft abgekoppelt. Während früher nach den Basiswerten einer Firma der Marktwert ermittelt worden ist, hat die digitale Welt neue Werte im Fokus. Es sind die Daten ihrer Internetnutzer, ihr durch Algorithmen gesteuertes Konsumverhalten und darüber hinaus die schon erwähnten Gebühren („Renten“), die für die Nutzung bestimmter Inhalte verlangt werden.
Die Kehrseite der digitalen Welt
„Der Technofeudalismus hat eine eingebaute Tendenz, die Preisinflation zu dämpfen, weil es in seiner Natur liegt Löhne, Preise und Profite zu drücken.“ (S. 165)
Die Verzweigungen, wem gehört welche Firma, zu wie viel Prozent sind so intransparent und variabel, dass letztendlich im großen Stil Steuerzahlungen am Staat vorbei in Steueroasen fließen. Gleichzeitig werden für die Arbeitswelt Rahmenbedingungen geschaffen, bei denen Gewinner und Verlierer schon im Vorfeld feststehen.
Cloud-Kapital und der einzelne Bürger
Was wäre, wenn jeder Einzelne nicht auf die Rendite schauen würde? Was wäre, wenn jeder sein Geld selbst verwalten würde? Was wäre, wenn die Superreichen ihr Geld von den Vermögensverwaltern zurückfordern würden?
Die Lektüre ist anspruchsvoll. Sie lehrt das Gruseln und schenkt neue Einsichten.
Yanis Varoufakis arbeitet in seinem Heimatland als Professor für Ökonomie an der Universität Athen. Und er hat eine Idee, wie nach demokratischen Regeln eine Firma funktionieren könnte. Es ist natürlich eine Utopie, wenn allen alles zu gleichen Anteilen gehören soll. Es wird immer Mechanismen geben, Menschen zu beeinflussen. Und großes Geld wird immer kleines aufsaugen. Großes Geld bestimmt die Preise der Immobilien, die Rentabilität der privaten Altersvorsorge und zu welchen Bedingungen und wo ein Mensch eine Arbeit bekommt.
Letztendlich bleibt die Frage, wie lange der Technofeudalismus noch wachsen kann und ab welchem Punkt das System kippen wird, um sich selbst zu verdauen. Denn wenn die tatsächliche Wirtschaft tot ist, dann gibt es auch keinen Konsum mehr. Das Märchen vom unendlichen Wachstum wäre dann auserzählt.
Ebenfalls lohnenswert: Yanis Varoufakis: Die ganze Geschichte.
Yanis Varoufakis: Technofeudalismus: Was den Kapitalismus tötete
Aus dem Englischen übersetzt von Ursel Schäfer
Verlag Antje Kunstmann, September 2024
320 Seiten, gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 28,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.